Odins Insel
nach Harald Adelstensfostres ausgestreckter Hand zu greifen.
Sigbrit Holland drehte die Heizung im Steuerhaus auf und holte ein paar Handtücher.
»Ich mag nicht, wenn du unter Wasser gehst«, sagte Gunnar der Kopf, während er Odin zusah, wie er sich trockenrieb. »Ich
mag überhaupt nicht, wenn du unter Wasser gehst.«
»Es wird schon funktionieren«, sagte der Fischer Ambrosius. »Aber Sie sollten nicht vergessen, die Maske aufzusetzen.«
Odin lächelte. Abgesehen von seinen klappernden Zähnen schien er keinen Schaden davongetragen zu haben.
»Was beim ersten Mal nicht funktioniert, funktioniert vielleicht beim zweiten«, sagte er und wrang Wasser aus seinem Bart. Aber dann schlug er sich plötzlich mit der flachen Hand auf die Brust und alle möglichen Körperstellen, als könne er nicht warm werden. Sigbrit Holland wollte ihm gerade noch ein Handtuch reichen, als er auf Deck hinausstürzte.
»Das Hufeisen! Ich habe das Hufeisen im Wasser verloren!«, rief er verzweifelt.
Der Fischer Ambrosius und Sigbrit Holland stürzten hinter dem kleinen alten Mann her, um zu verhindern, dass er ein zweites Mal in das eiskalte Wasser sprang. Es wäre sowieso verlorene Liebesmüh. Das Hufeisen dürfte sich bereits in den Schlamm gegraben haben. Es wäre sinnlos zu versuchen, es zu finden. Aber zu ihrer großen Überraschung zeigte Odin fast sofort auf etwas, das nahe am Kiel des grünen Fischerboots, das früher einmal grün-orange gewesen war, im Wasser schwamm.
»Da ist es!«, rief er und zog zufrieden an seinem nassen Bart, dass das Wasser nur so heraustropfte.
Es stimmte – das Hufeisen trieb gemächlich auf der schwarzen Oberfläche.
»Nun haben wir noch nie…«, murmelte der Fischer Ambrosius und holte ein kleines Fischernetz, mit dem er das Hufeisen mühelos aus dem Wasser fischte.
Gunnar der Kopf griff nach dem Hufeisen und befreite es aus dem Netz. Mit nachdenklicher Miene drehte er es in seiner Hand und kratzte sich am rechten Ellenbogen. Das Eisen erinnerte ihn an etwas, das er vor langer Zeit gehört hatte, damals als er noch als Schmied gearbeitet hatte. Was war es nur? Der Mann mit dem riesigen Kopf kratzte lange Zeit seinen rechten Ellenbogen und genau in dem Augenblick, als Odin zu ihm kam, um sein kostbares Hufeisen selbst in Verwahrung zu nehmen, fiel es ihm ein.
»Nur ein Inselschmied schlägt Schuhe, die schwimmen können«,
lachte der Mann mit dem riesigen Kopf.
XII Ragnarök
Zur Erde fiel Laub aus der Esche wie Beute
Wurzeln zu Gerippen Drache Nidhogg machte
Skoll schluckte die Sonne und Hate den Mond
es nahte der Fimbul Winter, lange und kalt
Das Horn Giallar Heimdal blies
Einherjer, Asen, Zeit zum Kampf
das Schlachtfeld nur allzu bald blutig ward
Riesen trampelten über Männer
– kein Krieger hielt seinen Stand
Surtur schwang sein Flammenschwert
das Tod und alles Leben verbrannte
auch Yggdrasil und Asgard
verloren im Feuer; was nun?
Thor schleuderte den Hammer, tötete den Drachen
das Gift entwich und traf ihn selbst
Odin seinen Speer in Fenris rammte
zwei gingen hinein
– weiser Gott und weise Lanze
Der Himmel krachte, die Sterne verdunkelten sich
Midgard ertrank im Meer
Die Riesen des Sieges mit Bifröst fielen
niemand verlor, niemand gewann
Wisse, daran erkennt man Ragnarök
O bwohl es mitten am Tag war, war es dunkel wie zur Dämmerstunde. Grau-schwarze Wolken jagten über den Himmel, und die winterkahlen Bäume beugten sich in dem eisigen Sturm, der in den Fensterrahmen heulte und immer wieder gegen die Mauern des Schlosses schlug, sodass die Böden zitterten.
Die Königin sah nachdenklich auf das leise knisternde Feuer im Kamin.
»Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?«, fragte sie und wandte langsam den Kopf dem Staatsminister zu.
»Leider nicht, Ihre Majestät«, antwortete der Staatsminister ernst. »Wir haben alles versucht, aber die nordnordische Regierung gibt nicht nach.« Der linke Mundwinkel des Staatsministers verzog sich, fast als wolle er ein Lächeln verbergen. Ein kleiner, schneller Nachbarschaftskrieg war das Beste, was einer an der Macht befindlichen Regierung vor einer Wahl passieren konnte.
Die Königin sah wieder in die Flammen. Sie war die Einzige, die von dem Abkommen zwischen König Enevold IV. und König Hermod Skjalm wusste. Ohne dieses gehörte die Drude-Estrid-Insel rechtlich zu Südnorden, und die Königin würde weit gehen, um diese Zugehörigkeit zu erhalten. Aber ein bewaffneter Konflikt? Südnorden hatte
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