Odins Insel
Wiedergeborenen Juden gingen nach Hause zu den Eltern von Hesekiel, dem Rechtschaffenen, die führerlosen wütenden jungen Moslems verübten ein paar Sachbeschädigungen und beruhigten sich dann an einer Straßenecke, wo sie Pläne für eine islamische Revolution schmiedeten, während die Lämmer des Herrn und Marias Jungfrauen der Presse und den Politikern nicht glaubten und dort blieben, wo sie waren, auf dem Parkplatz des Zentralkrankenhauses.
Sigbrit Hollands Telefon schellte ununterbrochen. Ärzte, Polizei, Beamte des Justiz- und Kirchenministeriums sowie ein paar neugierige Journalisten wollten wissen, ob nicht sie den Aufenthaltsort des alten Mannes kannte. Aber nein, Sigbrit Holland wusste nichts, log sie mit überraschender Leichtigkeit. Trotzdem hielt sie es für das Beste, sich zurückzuhalten und ein paar Tage nicht zu dem grün-orangenen Fischerboot zu gehen, für den Fall, dass sie beobachtet wurde. Erst einige Tage später ging sie wieder in die Spezialarchive des Land- und Katasteramtes.
Die Königin nahm keine Notiz von der jüngsten Entwicklung in der Sache Odin Odin, sondern setzte unbeirrt ihre Durchsicht der Hinterlassenschaften ihrer Vorväter fort. Inzwischen war sie bis zu König Enevold IV. vorgedrungen. Verschiedene Regalreihen waren mit der privaten Geschichte dieses Königs gefüllt. Er hatte Südnorden fast sechzig Jahre regiert, hatte den dreißigjährigen Krieg verloren und mit ihm einen großen Teil des Landes – glücklicherweise nur vorübergehend, was den größten Teil betraf. Nach verschiedenen Kriegen gegen die nordnordischen Könige musste Enevold IV. schließlich die südnordischen Provinzen Nordnordens sowie ganz Altnorden abtreten.
»Ja, so endete das südnordische Großreich«, murmelte die Königin. Wenigstens war alles gut dokumentiert: Die Archive von Enevold IV. enthielten mehr Dokumente, mehr Briefe und mehr
Bücher als die jedes anderen Königs. Drei Tage hatte die Königin gearbeitet und noch nicht einmal ein Zehntel durchgesehen. Bei dieser Geschwindigkeit konnte es Jahre dauern, bis sie fand, wonach sie suchte.
Die Königin sah sich müde um, um einen Überblick über die Situation zu bekommen, und beschloss, die Bücherregale erst einmal außer Acht zu lassen und sich stattdessen auf die Archivschränke zu konzentrieren. Was sich als kluger Beschluss erwies. Bereits am folgenden Nachmittag stieß sie auf einen Archivschrank mit einer falschen Rückwand. Sie reichte quer über den ganzen Schrank, und die Königin hätte sie nie entdeckt, wäre ihr nicht eine Schublade auf den Boden gefallen und hätte sie nicht gesehen, dass diese wesentlich kürzer war als der Schrank. Die Königin nahm die anderen Schubladen heraus und stellte sie auf den Boden und suchte die Rückwand mit den Fingern nach einem Öffnungsmechanismus ab. Doch vergebens. Einen Augenblick erwog sie, einen der Hofbediensteten zu Hilfe zu holen. Da jedoch niemand Verdacht schöpfen sollte, wonach sie suchte, unterließ sie es.
Früh am nächsten Morgen schloss sich die Königin mit einem Hammer und einem Meißel in der Tasche in der Bibliothek ein. Sie begann sofort mit der Arbeit, und im Laufe von wenigen Minuten gab das falsche Paneel nach. Die Königin steckte die Hand durch die dunkle Öffnung und tastete ein wenig blind herum, bis sie gegen etwas Hartes stieß, das sie zu sich herzog. Es war ein kleines staubiges Buch. Der Umschlag war aus dunkelbraunem Leder und unter dem Staub war es blank gewetzt von häufigem Gebrauch. Weder Name noch Titel standen darauf. Die Königin öffnete das Buch mit äußerster Vorsicht, um die zerfallenden Seiten nicht auseinander zu reißen. Es war eng mit Notizen in einer kräftigen charaktervollen Schrift beschrieben, die sie sofort wieder erkannte, und am Rand waren wie bei einem Tagebuch die Daten notiert. Sie las ein paar Zeilen, aber es bestand kein Zweifel: Sie hielt das persönliche Tagebuch von König Enevold IV. in der Hand. Die Königin war entzückt. Sie steckte die Hand noch einmal in das Loch und holte ein weiteres Buch heraus und dann noch eins und noch eins. Insgesamt vier Bücher, vier unbekannte
Tagebücher. Das war besser als alles, was sich die Königin erträumt hatte. Im Vergleich zu diesem Schatz erschien die unbekannte Insel plötzlich völlig bedeutungslos. Wahrscheinlich existierte sie nicht einmal. Die Königin steckte das Werkzeug und die vier kleinen Bücher in ihre Tasche, verließ die Bibliothek und verschloss sorgfältig die
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