Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
Heer meldet, das heißt mit Sicherheit nicht mehr am Leben ist, sollten wir dem Hof empfehlen, dass der König sein Benefiz sofort einzieht und einem anderen überantwortet. Vasallen ohne Benefiz gibt es genug, Anwesende eingeschlossen, aber du strebst ja Höheres an. Der neue Mann muss sich unverzüglich hierher begeben! Dann kann Hauk auch nicht Zentgraf werden. Benefiz und Amt sind zwar nicht zwangsläufig miteinander verbunden, aber gewöhnlich wird ja der größte Grundherr … Du hörst mir nicht zu!“
„Sie fangen wieder an, diese Weibsstücke“, sagte Odo, der halb belustigt, halb besorgt noch immer die streitenden Mägde beobachtete.
Jetzt hatten sich zwei von ihnen an den Schultern gepackt und versuchten, einander ins Wasser zu werfen. Schon standen sie bis zum Gürtel drin – und plötzlich war eine versunken. Sie tauchte kreischend und Luft schnappend auf und verschwand abermals. Im Nu hatte sich Odo über den Zaun geschwungen. Er rannte zum Ufer hinunter. Doch er brauchte nicht einzugreifen. Hilfreiche Arme wurden ausgestreckt und zogen die Verunglückte ins flache Wasser zurück. Prustend stolperte sie ans Ufer und wrang ihre Röcke aus. Odo rief den Mägden ein paar Scherzworte zu, die sie dankbar belachten, und kehrte zu mir zurück.
„Hast du das gesehen?“, sagte er und nahm mir Impetus wieder ab, den ich so lange am Zügel gehalten hatte. „So könnte es passiert sein.“
„Was?“
„So könnte die Riesin sich der früheren Zentgräfin entledigt haben.“
„Du glaubst die Geschichte?“
„Es war ein Kinderspiel.“
„Vielleicht sollten wir nichts auf Weibergezänk geben.“
„Immerhin liegt eine der Zänkerinnen dort aufgebahrt.“
„Und was hältst du nun von von meinem Vorschlag?“, fragte ich unwirsch. „Hast du ihn überhaupt zur Kenntnis genommen?“
Odo befingerte seine Nasenspitze und blickte mich einen Augenblick lang tiefsinnig an.
„Dein Vorschlag ist ausgezeichnet. Überhaupt ist deine Deutung des Falles bemerkenswert. Nur hast du vielleicht eine Kleinigkeit übersehen.“
„Und welche?“
„Dass es unter den menschlichen Wesen, die die Welt bevölkern, nicht nur solche wie uns beide gibt: die Schnurrbärtigen und die Tonsurierten. Sondern auch noch andere, zum Beispiel so drollige Geschöpfe mit glatten Wangen wie die da unten.“
„Lass uns ernsthaft reden!“
„Siehst du. Nur eine Welt der Ämter, Benefize, Kriege, Heiligengräber ist für dich eine ernsthafte Welt. Wir schreiben an die vorgesetzte Behörde und man wird die Sache in Ordnung bringen. Der Mörder ist gestraft, weil der Neid weiter an seiner schwarzen Seele frisst. Er bekommt kein Benefiz und kein Amt. Kann man ihn schlimmer strafen? Einen von uns, den Schnurrbärtigen und Tonsurierten, wohl kaum.“
„Was, zum Teufel, willst du damit sagen?“
„Eure Heiligkeit fluchen?“
„Hast du einen anderen Verdacht? Sprich! Hängt er vielleicht mir diesem Unglücksfall zusammen? Dem Tod der früheren Zentgräfin?“
„Um mich dazu zu äußern“, sagte Odo bedächtig, „müsste ich die jetzige besser kennen lernen. Aber sie ist zu sehr mit ihrer Trauer beschäftigt. Sie könnte mich für zudringlich halten und missverstehen. Einer so erhabenen Riesendame nähert man sich auch nicht auf die übliche Art, frontal und drauf zu. Sie ist eine Burg mit Türmen, Vorbauten, Wällen, rückwärtigen Befestigungen, schönen An- und Aussichten, Falltüren, geheimen Gängen und finsteren Verliesen. In dieser Beziehung kann man von unserem Alten, dem ruhmreichen König Karl, etwas lernen. Er geht bedeutende strategische Ziele niemals direkt an, sondern immer auf Umwegen, indem er seine Kräfte teilt und allerlei Umgehungsbewegungen ausführt, bis der Augenblick zum Zuschlagen da ist. Allerdings nimmt er sich dafür viel Zeit und die haben wir nicht. Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass das meiste, was hier getan werden müsste, ungetan bleiben wird. Aber schreib nur an den Pfalzgrafen. Ein Fehler kann es nicht sein …“
Unterdessen hatten wir die Schänke erreicht, ein strohgedecktes Bauwerk von Holz und Lehm, ein wenig größer und länger als die übrigen Hütten. Wir banden Impetus und Grisel an Bäume und traten ein. Der Herd, Fässer, ein Regal mit Krügen und Bechern, ein grober Tisch und eine lange Bank bildeten die bescheidene Ausstattung. Ein paar Bauern, die herum hockten, erhoben sich gleich, um sich unter eckigen Verbeugungen aus dem Staube zu machen. Das war ihnen wohl für den
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