Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
führte das Lastpferd herbei und lud zwei prall gefüllte Ledersäcke ab. Ausgeschüttet wurde alles: Festgewänder, seidene Mäntel und Tuniken, mit Silber beschlagene Gürtel, Hosen, Schuhe, bestickte Stirn- und Wadenbänder, Armreife, Kettchen, Fibeln, Schriftrollen, Kodizes, Griffel, zierliche Messer und Dolche, der Silberpokal des Königs und …
Wahrhaftig, da lag das goldene Kreuz im Gras! Der Stein reflektierte das Sonnenlicht und schoss gelbrote Blitze.
Ich wandte mich ab, weil es schmerzte. Aber es war wohl mehr der Schmerz der Enttäuschung.
Im ersten Augenblick der Entdeckung löste sich jede Ordnung auf.
Die Zuhörer sprangen auf und drängten heran, um mit runden Augen den Fund zu beglotzen.
Auch Odo erhob sich, einen Fluch auf den Lippen. Der Sänger, der sich während der Ausleerung seiner Gepäcksäcke gekränkt und gedemütigt abgewandt hatte, fuhr herum und erstarrte. Reglos verharrte auch Frau Begga. Ihre lebhaften Augen blickten betroffen, sie war klug genug, jeden Triumph zu vermeiden.
Damit war der Beweis für die Tat vollbracht, zu verhandeln gab es nichts mehr. Die scabini steckten die Köpfe zusammen, um über die Strafe zu beraten, die sie den Richtern empfehlen wollten. Natürlich würde Odos und meine Meinung, sofern wir uns einigen konnten, den Ausschlag geben. Die Todesstrafe kam nicht in Frage, da es sich um einen Adeligen handelte. Doch auch das Opfer war eine Adelige, dazu verheiratet. War sie schwanger? Während Hrotbert mit düsterer Miene schwieg, reckten die Schöffen ihre Bärte und Zeigefinger gegeneinander, um zahnlos mümmelnd weitere Fragen aufzuwerfen, die bei der Urteilsfindung bedacht werden mussten. Soviel stand fest, dass das Wergeld beträchtlich sein und das Vermögen eines Sängers, auch eines berühmten, zu kaum mehr als einer teilweisen Abgeltung reichen würde. Siegrams Freiheit war in Gefahr.
Odo nahm mich beim Arm und führte mich ein paar Schritte beiseite.
„Was machen wir nun? Goldkehlchen ist unschuldig, jedenfalls was diesen Mord betrifft.“
„Ich bemerkte, dass du ihm Zeichen gabst.“
„Ja! Mir war das schon vor der Verhandlung klar, deshalb hab ich ihm vorher noch gesagt, was für Töne er anstimmen soll. Im Großen und Ganzen ging das auch gut, aber …“
„Aber das Kreuz! Wie ist es in sein Gepäck gekommen?“
„Es gibt hundert Möglichkeiten, wie das geschehen sein könnte. Ich selbst konnte es hineingetan haben.“
„Glaubst du, dass sie es war?“
„Von den hundert Möglichkeiten hatte sie fünfzig.“
„Leider werden wir ihr nichts nachweisen können.“
„Jetzt kommt es vor allem darauf an, Zeit zu gewinnen. Wenn ein Urteil erst einmal gesprochen ist …“
„Du hast Recht. Es gäbe dann zwar noch die Urteilsschelte. Aber die wäre in diesem Fall kaum erfolgversprechend.“
„Also was können wir tun? Fällt dir nichts ein?“
Odo blickte unruhig zu den Schöffen hin. Die hatten sich inzwischen geeinigt und redeten alle gleichzeitig auf den Grafen ein. Hrotbert wehrte ärgerlich ab und forderte einen von ihnen auf, ihm die Meinung aller mitzuteilen.
„Das einzige Mittel“, sagte ich, „wäre vielleicht die inquisitio .“
„Was ist das?“
„Hast du die Unterweisung in der Hofkanzlei verschlafen?“
„Schon möglich. Du hast bestimmt aufgepasst. Kläre mich auf!“
„Nun, eben eine Untersuchung. Zwecks Ermittlung von Zeugen, die wir selber berufen könnten. Sonst ist das ja nur die Sache der Parteien. Wir hätten sogar die Möglichkeit, den Befehl zur eidlichen Aussage zu geben. Aber woher nehmen wir solche Zeugen?“
„Wo ein Wald ist, findet man Bäume“, sagte Odo und klopfte mir auf die Schulter. „Ich wusste ja, mein bewunderter Freund, dass deine Weisheit uns nicht im Stich lassen würde!“
„So etwas braucht aber seine Zeit.“
„Wenn es um die Gerechtigkeit geht ...“
„Du scheinst es nicht mehr so eilig zu haben“, bemerkte ich spöttisch. „Dafür gibt es außer der Gerechtigkeit wohl weitere Gründe.“
„Du hast es erraten, gleich zwei“, erwiderte er lachend. „Einen guten und einen schlechten. Einen männlichen und einen weiblichen. Einen tierischen und einen menschlichen.“
„Sie heißen Impetus und Petrissa.“
„Wie könnte man dir etwas vormachen, Bruder. Aber jetzt wollen wir die inquisitio einleiten.“
Graf Hrotbert, der mürrisch die Empfehlung seiner Schöffen entgegen genommen hatte, war erfreut, dass es einen Weg gab, das Urteil aufzuschieben. Als noch
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