Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
aus und stürzte zu Boden. Mit langen Sätzen, den Kopf eingezogen, in gebückter Haltung die Harfe an sich drückend, rannte er auf ein trockenes Plätzchen zu.
Auch ich hatte meine Kutte gerafft und das schützende Dach des Saalhauses erreicht. Als ich zurückblickte, sah ich durch die dicken, graugelben Streifen des Regens, im zuckenden Licht der Blitze unten auf dem Gerichtsplatz nur noch zwei Menschen: die ehemalige Zentgräfin, die reglos auf dem schlammigen Boden lag, und Odo, der sich um sie bemühte. Auch um ihn hatte sich niemand gekümmert. Auf seinen Stock gestützt, hatte er sich der Frau genähert, und jetzt versuchte er, sie zum Aufstehen zu bewegen.
Über hundert Männer standen ringsum unter Bäumen und Dächern und sahen zu. Kein Einziger rührte sich zur Hilfe. Auch ich nicht.
Das Gewitter zog schnell vorüber und die außerordentliche Gerichtsversammlung trat gegen Abend noch einmal zur Verkündung des Urteils zusammen.
Natürlich wurde der Sänger freigesprochen. Gegen Frau Begga will Hrotbert selbst, wie schon vorher beabsichtigt, vor dem Grafschaftsgericht Anklage erheben. Da ihre Sache völlig aussichtslos ist, wurde sie sofort in Verhaft genommen. Um aber zu vermeiden, dass auch in diesem Fall wieder Rache dem Richterspruch vorgreift, brachten Gefolgsleute Hrotberts sie noch am selben Abend auf eines der Güter des Grafen.
Für die Verhandlung vor dem Grafschaftsgericht wird übrigens nicht, wie zunächst vorgesehen, die nächste turnusmäßige Versammlung, das „echte Ding“ der Lex Salica, abgewartet, sondern sie soll bereits in ein paar Tagen stattfinden. Wir werden dann allerdings nicht mehr hier sein. Der besondere Grund für die Eile ist die Ankunft eines syrischen Sklavenhändlers, der schon ein begehrliches Auge auf die schöne Demetria geworfen hat. Er will das Ergebnis der Gerichtsversammlung abwarten, das im Grunde aber feststeht. Es geht nur noch um die Höhe des Wergelds. Zwar hat sich herausgestellt, dass Begga-Demetria von ihrem ersten Gemahl Schmuck und Juwelen von beträchtlichem Wert geblieben sind, doch wird das nicht reichen, um die Verwandten ihrer drei Opfer zu entschädigen. Unvermeidlich wird der Verlust ihrer Freiheit sein. Der Händler will den Rest zahlen, nicht weniger als fünfzig Solidi, den höchsten Betrag, wie er versicherte, den er jemals für eine Sklavin aufbringen musste.
Die Idee des Verkaufs an den Syrer hatte übrigens Odo. Er führte mit dem Mann ein längeres Gespräch, in dem es um Hispanien und das arabische Emirat ging, wo er sich, wie ich schon erwähnte, auskennt. Der Händler ist dorthin unterwegs und Odos sündige Phantasie eilte ihm gleich voraus in den Harem des Emirs. Sie waren sich schnell darüber einig, dass eine blonde Riesin dort hoch willkommen sein würde.
Ich habe allerdings den Verdacht, dass Odo mit diesem Geschäft eine geheime Hoffnung verbindet. Um nach Córdoba, dem Sitz des Emirs, zu gelangen, muss der Händler seinen Treck durch Aquitanien und die Gascogne führen. Odo hofft, wie ich befürchte, dass Demetria dort, in ihrer Heimat, irgendwie die Flucht gelingt. Vielleicht ist das sogar ein Teil der Abmachung. Unvergesslich wird mir das Bild bleiben, wie sich Odo, obwohl verletzt und behindert, bei Gewitter und Regen über die am Boden liegende Frau beugte und ihr aufhelfen wollte.
Zum Schluss kehre ich noch einmal in Petrissas Schenke zurück.
Dort erschien am Morgen nach seinem Freispruch Herr Siegram, um seinen jungen Diener, den Aimo, zu holen. Aimo hatte sich aber inzwischen mit Witzlaw angefreundet, machte ein saures Gesicht und wollte seinem Herrn nicht folgen. Und Odo erklärte dem Sänger, dass es besser für ihn sei, auf den Jungen zu verzichten, sonst werde er vielleicht doch noch große Unannehmlichkeiten bekommen. Siegram weigerte sich empört. Es kam zu einem heftigen Auftritt, in dessen Verlauf Odo mit seinem einsatzfähigen Arm alle in seiner Nähe befindlichen Gegenstände nach dem Sänger schleuderte: seinen Stock, seinen Becher, einen Hocker und sogar ein Fass. Zum Glück hatte er seine Waffen nicht griffbereit.
„Das ist Raub!“, schrie Siegram. „Der Junge ist mein Knecht, ich verklage Euch!“
„Gut“, erwiderte Odo, „Ihr habt das Recht, mich zu verklagen. Aber bringt die Sache gleich vor das Hofgericht. Nur dort ist man für Übergriffe der Königsboten zuständig.“
Darauf stieß der Sänger nur noch laute Verwünschungen aus, bestieg sein Pferd und ritt davon.
„Ich wusste ja
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