Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
Dabei war unserem Sachsen anzumerken, wie gern er selbst an der Stelle des Bräutigams wäre. Doch eine reiche Braut ist für ihn, den Mittellosen, so unerreichbar wie der Mond.
Odo schwieg die meiste Zeit, aber keineswegs teilnahmslos. Von Zeit zu Zeit warf er eine Bemerkung hin, und immer wieder sah ich seine Blicke nach jenem Hügel hinüberschweifen. Einmal machte er mich auf einen Reiter aufmerksam, der von dort gekommen sein mußte und trotz des strömenden Regens unbeirrt der Straße zustrebte. Von Zeit zu Zeit verschwand er hinter Baumgruppen und Gebüsch, und wenn er sichtbar wurde, verhielt er sich sonderbar. Mehrmals fiel er nach vorn auf den Hals des Pferdes. Einmal schien er sogar zu stürzen, hielt sich aber im letzen Augenblick doch noch im Sattel. Offensichtlich war er betrunken. Als er schon ziemlich nahe war, verschluckte ihn eine Bodensenke, und wir sahen ihn nicht wieder auftauchen. Allerdings kümmerten wir uns nicht weiter um den Mann, der uns während der erzwungenen Rast ein wenig unterhalten hatte.
Als endlich der Regen nachließ und wir zum Aufbruch rüsteten, machte Heiko unumwunden den Vorschlag, zum Tagesziel Ebrachars Gut zu wählen. Zu entscheiden hatten Odo und ich, aber während ich unentschlossen blieb, war Odo dagegen. Er meinte, daß der Weg über den Hügel, vor allem über die regennasse und sicher tückische Felsentreppe viel zu beschwerlich sei. Damit hatte er recht, obwohl sein wahrer Beweggrund wahrscheinlich ein anderer war. Er wollte Ebrachar nicht wieder unter die Augen treten, ohne etwas getan zu haben, um Sigiwalds Tod zu rächen, an dem er sich nach wie vor mitschuldig fühlte.
Wir zogen also die Straße entlang, auf ein sechs Meilen entferntes Königsgut zu, wo wir Herberge nehmen wollten. Aber wir kamen nicht weit. Zuerst trabte uns ein lediges Pferd entgegen. Wir vermuteten gleich das Richtige, und tatsächlich fanden wir auch nach hundert Schritten den Reiter. Ohne Zweifel war es der unfreiwillige Possenreißer, von dem wir geglaubt hatten, daß er betrunken sei.
Es war ein Sterbender.
Er lag am Rande der Straße in einem mit Regenwasser gefüllten Erdloch. Noch atmete er, aber nur schwach. Seine Kleidung war gleichermaßen von Wasser wie von Blut durchtränkt, und schon eine flüchtige Untersuchung ergab, daß sein Körper von zahlreichen Wunden gezeichnet war, darunter mehreren Messerstichen. Es war ein Wunder, daß der Mann noch zu Pferde gesessen hatte. Seine Augen waren weit offen, und er schien uns etwas sagen zu wollen, doch war seine Zunge nicht mehr imstande, Worte zu formen. Unaufhaltsam ging es zu Ende. Wir legten ihn mitten auf die Straße, auf eine leidlich trockene Stelle des schadhaften Pflasters, und ich kniete neben ihm nieder und sprach hastig das ‚Agnus Dei‘. Noch hatte ich das Gebet nicht beendet, als Heiko sagte: „Ich kenne den Mann!“
Die groben, von frischen Wunden und alten Narben entstellten Züge hatten ihn an jene Prügelei vor dem Tor von Ebrachars Salhof erinnert. Zwei mit Knüppeln bewaffnete Knechte des Rocco waren dort auf ihn eingedrungen, und er hatte sich ihrer mit der flachen Klinge erwehrt. Dieser, der vor uns lag, war einer der beiden gewesen.
„Ein Knecht des Rocco also. Was bedeutet das?“ Odo beugte sich zu dem Mann am Boden hinab und machte einen letzten Versuch, ihn zum Reden zu bringen. „Du, woher kommst du? Erinnere dich! Wer hat dich so zugerichtet – und wo? War es bei Ebrachar? War dein Herr dabei? Sprich doch!“
Er rüttelte ihn an der Schulter. Es war aber sinnlos, denn im selben Augenblick hatte der Mann seinen Geist aufgegeben. Odo erhob sich fluchend. „Flegel! Macht sich davon in die Ewigkeit und erzählt die Geschichte dem Allwissenden, der sie längst kennt. Mit wem hat der Bursche sich gerauft? Und wohin wollte er so eilig?“
„Vielleicht nach Hause“, vermutete Heiko.
„Dann muß Roccos Gut in der Nähe sein“, sagte ich. „Er hätte nicht seine letzte Kraft verbraucht, wenn er nicht noch gehofft hätte, es zu erreichen.“ Ich irrte mich nicht.
Wir entdeckten ein paar Strohdächer und schickten einen der Recken dorthin. Er kam mit der Auskunft zurück, Roccos Anwesen läge kaum zwei Meilen entfernt auf der dem Hügel gegenüberliegenden Seite der Straße. Der Pächter, mit dem unser Recke gesprochen hatte, war auch sicher, daß der Gutsherr zu Hause sei, denn er hatte ihm gerade an diesem Morgen den Zins gebracht. Über das, was dem Knecht widerfahren war, konnte er allerdings
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