Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
ab. Du bist verloren, Mönch!“ fuhr er mich an, wobei er mich aus blutunterlaufenen Augen anstierte und mir seinen weingesättigten, stinkenden Atem ins Gesicht blies. „Wenn du auch fromm bist, du bist kein Eingeweihter! Wie willst du also in das Reich Gottes hineinkommen? Deine verdammte Frömmigkeit nützt dir gar nichts! Du kennst das Geheimnis nicht, elender Wurm, aber von mir wirst du nichts erfahren … Im Reiche Gottes werde ich Abt“, murmelte er, wobei sein Kopf immer tiefer sank, „und dann werde ich euch lüsterne Kuttenträger Zucht lehren … Gesindel … Hurenböcke … Knabenschänder … Ich stürme die Mauern von Verona und mache euch fertig, ihr heidnischen Schweine …“
Nach dieser Drohung verließ den Comes die letzte Kraft, er fiel zusammen, und sein Kopf krachte auf die Tischkante. Zu meiner Verwunderung entfielen dabei seinem Munde vier, fünf Zähne, die wie Perlen über die hölzerne Platte rollten und neben seinem Becher liegenblieben, während er selber zu Boden sank. Er schien aber keinen Schmerz zu verspüren, und es war auch kein Blut zu sehen. Die dralle Kebse beugte sich zu ihrem Herrn hinab, packte ihn am Kragen und Gürtel und zerrte ihn auf die Bank zurück. Da starrte er blöde auf die Zähne und sagte: „Verflucht!“ Und dann riß er den Mund auf und tastete an seinem Gaumen herum, aus dessen Kahlheit ein paar schwärzliche Stummel wie morsche Zaunpfähle ragten. An diesen hingen zarte Goldfäden, welche sich beim Zusammenstoß mit der Tischkante gelockert und verloren hatten, was festzuhalten ihre Bestimmung war.
„Auspeitschen lasse ich den Kerl!“ grollte der Comes, wobei er vermutlich den Künstler meinte, dessen sinnreiches Werk nun zerstört war. Dann wischte er die Perlenzähne mit einer Handbewegung von der Tischplatte und fügte hinzu: „Die taugten auch nichts. Der Zacharias soll neue bringen!“
Mit diesen Worten, die mich noch einmal aufhorchen ließen, sank er wieder unter den Tisch. Die dicke Kebse verlor die Geduld und sagte: „Nun ist es genug, du gehst jetzt schlafen!“ Sie holte ihn abermals unter der Bank hervor, lud ihn sich auf die stämmigen Arme, und mit wackelndem Kopf und schlenkernden Gliedern wurde der Erste der Götter hinausgetragen. Unter den Konviven im Saal war niemand, der davon Notiz nahm. Es scheint, daß sich der Comes immer so von seinen Gästen verabschiedet.
Auch ich begab mich nun nach der mir zugewiesenen Schlafstelle. Odo hatte sich schon vor Stunden zurückgezogen. Wohin wohl? Erst am Morgen sah ich ihn wieder.
„Schnell fort von hier, Vater!“ rief er. „Dieser alte, heruntergekommene Marschalk hat seine Stuten gut zugeritten. Ich hätte Lust, den ganzen Stall zu examinieren. Aber wir haben noch etwas anderes vor!“
In der Tat. Und wir mußten uns darüber nicht mehr verständigen. Wir begaben uns ohne Verzug nach Paris.
10
H atten wir aufgegeben? So scheint es. Aber man darf uns nicht tadeln, ohne dabei zu bedenken, in welcher Lage wir uns befanden und welche Möglichkeiten wir hatten.
Auch wenn der Vertreter der königlichen Macht in weniger innigem Einvernehmen mit dem Oberhaupt der Brüdergemeinde gestanden hätte, wär seine Hilfe kaum zu erwarten. Niemand darf die Immunität verletzen, das höchste Privileg im Reich der Franken, schon gar nicht Amtspersonen. Im Grunde handelt es sich ja um eine höchst sinnreiche und vernünftige Sache. Der Herr Karl, unser großer König, will damit Personen auszeichnen und Einrichtungen fördern, deren Einfluß und Unterstützung ihm wichtig sind. So nimmt es nicht wunder, daß vor allem Kirchen und Klöster dieses Vorzugs teilhaftig werden – denn was ist heutzutage (seien wir aufrichtig!) den verwilderten Völkern und Stämmen unseres Frankenreichs nötiger als die Religion, als fromme Einkehr und Gottesfurcht! Maßvoll genutzt ist also die Immunität sowohl für die Privilegierten als für die Allgemeinheit ein Segen. Auch Euer Kloster, lieber Vetter Volbertus, genießt sie, und wie ich Deinen Briefen entnehme, ist es auch ohne ihren Mißbrauch prächtig aufgeblüht, denn schon die Befreiung von allen Steuern und Abgaben ist ja ein unschätzbarer Vorteil. Was die eigene Gerichtshoheit angeht, so ist sie meiner Ansicht nach überall dort von Nutzen, wo die örtlichen Vertreter der königlichen Macht schwach sind und keine Sicherheit garantieren. Bischöfe, Äbte und Vögte kümmern sich um Schutz und Ordnung in ihrem Bereich, zur Entlastung der Grafen und
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