Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
fast zu Tode gehetzt, als er hier eintraf. ‚Helft!‘ rief er. ‚Morgen wollen sie meine Schwester fortbringen! Wenn wir nichts tun, ist es für immer zu spät!‘ Sollte das ein menschliches Herz nicht rühren? Sie hatten das arme Mädchen in die Kapelle gesperrt, nicht einmal die Tanten durften zu ihr. Cleph war sicher, daß ihr Sinn sich inzwischen gewandelt hatte und daß sie auf Rettung hoffte. Doch selbst wenn ich die Entführung abgelehnt hätte … mein Bobo war nicht zu halten! Und wollt Ihr wissen warum, Herr Odo? Weil er die Jungfrau liebt und sie auch heiraten würde, wenn sie nicht einmal Strümpfe und Schuhe hätte und überhaupt ganz nackt wäre!“
„Nackt mit einer prächtigen Wiese und einer hübschen Herde dazu“, spottete Odo, der es nicht lassen konnte, „damit man Wolle scheren, Fäden spinnen und ihr ein Kleid machen kann. Ihr habt Euch sicher vergewissert, daß ihre Mitgift noch beisammen ist. Hoffentlich geht Eure Rechnung auf. Einen Knecht habt Ihr schon verloren. Wieviel war er wert? Zwanzig Solidi? Fünfundzwanzig?“
„Hör auf!“ fuhr ich heftig dazwischen. „Ungerecht bist du! Suchst nur Grund, um zu tadeln! Cleph und Bobo haben sich in Gefahr begeben. Du aber ärgerst dich, weil wir selber nichts unternommen haben und deine Verwandten jetzt in dieser traurigen Lage sind!“
Das hätte ich nicht sagen dürfen, denn im Nu flammte Odos Zorn auf wie ein Haufen trockenen Reisigs.
„Und wer ist schuld daran?“ gab er zurück, wobei er mir seine Nase entgegenstieß, als wolle er mich aufspießen. „Wer war es denn, der die Backen zusammenkniff und keinen Schritt machen wollte, wenn ich sagte, wir holen uns die verdammten Brüder? Den schon der Gedanke daran hinten feucht machte?“
„Ich gebe ja zu, daß ich manchmal kleinmütig war …“
„Du warst feige! Ein gottverdammter, erbärmlicher Bruder Feigling warst du!“
„Und du hast immer nur an dein Vergnügen gedacht!“ rief ich, nun auch erbost.
„Ich, der ich fast wie ein Heiliger lebe?“ schrie er zurück.
„Nach den Kebsen des Magnulf zog es dich zu den Pariser Huren! Deine Verwandten hast du vergessen!“
„Dafür hast du dein Gelübde vergessen, mein frommer Heuchler!“
„Wann denn? Wo denn?“
„Im Bett der Prisca!“
„Ah! Heißt das, du spionierst mir nach, du Aufschneider?“
„Ich … ein Aufschneider?“
„Du Bräutigam der Prinzessin Rotrud! Schwiegersohn König Karls!“
„Halt dein Maul, geschwätziger Kuttenbock!“
„Gut, ich halt's Maul. Halte du dein Großmaul!“
„Buchstabenscheißer!“
„Analphabet!“
„Mönchsfurz!“
„Aristokratendreck!“
Nun, unser Disput sank auf die niedrigste Ebene hinab. Wir packten uns sogar an den Gewändern und zerrten uns auf der Bank hin und her. Viel fehlte nicht, daß wir uns auch noch mit Fäusten schlugen. Herr Rocco starrte betroffen von einem zum anderen, wagte jedoch nicht dazwischenzugehen. Schließlich sprangen Heiko und Fulk von ihrem Strohlager auf, und jeder warf sich auf einen von uns und zog ihn von dem anderen weg. So wurde das Schlimmste vermieden. Aber es war ein sehr peinlicher Anblick, als sich zwei missi dominici, Stellvertreter des Königs, vor aller Augen beinahe ans Leder gingen. Gewiß, wir waren gereizt und unzufrieden, wir fühlten, daß Roccos Vorwürfe nicht ganz unberechtigt waren, und nach gewöhnlicher Menschenart suchten wir eher bei unserem Nächsten die Schuld als bei uns selbst … aber war das ein Grund, sich so unwürdig zu benehmen? Jedenfalls führten wir uns auf wie zwei Narren, und unsere Autorität litt beträchtlich. Immer noch schimpfend wurden wir schließlich von unseren Leuten in zwei entgegengesetzte Ecken gestoßen, wohin sie uns auch unser Reisegepäck und unsere Felle warfen. Da schwiegen wir endlich und legten uns nieder.
Später, als alles schon schnarchte, wollte ich dann die Reue meiner zerknirschten Seele noch in Bibelworte wider Streitsucht und Hochmut kleiden, doch mir fiel nur meine tägliche Bußübung ein: „Die Lippen der Hure sind süß …“
Und ich fragte mich: Wie konnte Odo, dieser Teufelsbraten, von meinem Abenteuer erfahren haben? Hatte er jene zwei Stunden der strengen Prüfung und Selbstbesinnung nach der Ermordung des Sigiwald, in denen er unauffindbar war, etwa im Wolkenheim der Frau Prisca verbracht?
Ein spitzer, schriller Schrei, dem der Möwen ähnlich, flugtüchtiger Wasservögel, die ich kürzlich am Ufer der Seine beobachtet hatte (in Euern
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