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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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auf traditionelle Weise bei einem Jagdausflug ausgetragen. Einer starb auf der Stelle, der andere ein paar Tage später infolge seiner schweren Verletzungen. Rothari, der einzige noch lebende Bruder, mußte den Besitz übernehmen.
    Tief betrübt nahm er Abschied von allem, was ihm teuer war – seinem Gönner, seinen hochgestellten Freunden, den edlen Frauen, den Palästen, den Städten, den pomphaften Prozessionen, den rauschenden Festen –, ‚um in diesen finstersten aller Winkel, aus dem ich hervorkroch, zurückzukriechen‘. Hier heiratete er eine (kürzlich verstorbene) Einheimische, zeugte den Sohn und die Tochter und lebte nach der Art seiner Väter, als Waldbauer. Irgendwann, als er es nicht mehr aushielt, ließ er Künstler und Bauleute aus Italien kommen, die ihm das kleine Refugium schufen, in dem wir uns gerade befanden. Und immer noch schrieb er eifrig an Freunde aus jenen unvergeßlichen Jugendjahren, hohe Würdenträger darunter, er empfing deren Briefe und besuchte auch diesen und jenen zuweilen. Sein alter Gönner war nicht mehr am Leben, hatte ihn aber noch dem am Hofe mächtigen Herrn Alkuin empfohlen, dem er die Ernennung zum Grafen verdankte. Er habe sich nicht nach dieser Würde gedrängt, schloß Herr Rothari seinen Lebensbericht, da sie ihm eher eine Last als eine Erfüllung sei. Doch habe er nicht ablehnen können. Wenn nicht weltkundige, aufgeschlossene Männer die Zügel in die Hand nähmen, würde Thüringen zu allen Zeiten als müder Gaul den anderen hinterhertrotten.
    Er machte dann noch ein paar spöttische Bemerkungen über den Grafen Hartrat und seine Getreuen, die ja vor einigen Jahren einen Aufstand versucht und – nach dem strengen Urteilsspruch unseres Herrn Karl – fast alle dafür mit dem Leben gebüßt hatten. {11} Er nannte sie verächtlich ‚Metsäufer‘, die das Land in die Zeit der Germanen zurückschleppen wollten. Ihm sei die Nähe der Greuel zum Glück erspart geblieben, fügte er hinzu, damals sei er gerade in Mailand gewesen, wohin ihn ein alter Freund zur Falkenjagd eingeladen hatte. Dieses Vergnügen gönne er sich nun jedes Jahr einmal, und der gute, alte Freund, ein reicher Benefiziat aus langobardischem Adelsgeschlecht, dränge ihn sogar, für immer nach Italien zu kommen. Daran hindere ihn nun leider das Amt. In ein paar Jahren jedoch, wenn sein Sohn Thankmar das nötige Alter für die Nachfolge habe, werde er seine Beziehungen bei Hofe, besonders zu Herrn Alkuin, nochmals in Anspruch nehmen und um seine Ablösung bitten. Dies sei er auch seiner Gesundheit schuldig, die dem rauhen Gebirgswetter und den endlosen Wintern schon lange nicht mehr gewachsen sei.
    Ich gestehe, daß ich den Ausführungen des wortgewandten und feingeistigen Herrn mit großem Vergnügen gefolgt war. Ab und zu hatte ich auch eine Frage gestellt und ihn damit genötigt, noch weiter auszuholen, wozu er jedoch gern bereit war. Dabei blieb es nicht aus, daß er seine Rede mit Anspielungen und Zitaten würzte, die seine reiche Kenntnis des geistlichen und weltlichen Schrifttums bewiesen. Manchmal antwortete ich ihm, und dann warfen wir uns die Zitate wie Bälle zu, wobei wir ganz selbstverständlich zum Lateinischen überwechselten. Erst wenn Odo dann deutlich Unmut zeigte, seine Hände knetete und seinen Schnurrbart zupfte, kehrten wir zum Romanischen zurück, das Rothari, da er sich ja lange jenseits des Rheins aufgehalten hatte, ebenso glänzend beherrschte.
    Der Graf lächelte dann jedesmal schuldbewußt und sagte, daß er großen Genuß empfinde, weil ihm zum ersten Mal wieder ein so gebildeter, seiner geistigen Welt vertrauter Mann gegenübersitze. Damit meinte er mich natürlich, nicht Odo, der ja leider trotz meiner gelegentlichen Bemühungen um Abhilfe des Lesens ganz unkundig und noch immer nicht in der Lage ist, mehr als die drei Buchstaben seines Namens zu schreiben, das heißt, im Grunde nur zwei, denn einer erscheint ja doppelt. Nichtsdestoweniger ist mein stolzer Freund sehr empfindlich, wenn seine Schwäche offenbar wird, und in diesem Fall – ich kann nicht sagen, ob zu Recht oder nicht – schien er aus den Bitten des Grafen um Nachsicht sogar etwas Spott herauszuhören. Da er außerdem gewöhnt ist, bei unserer Ankunft an fremden Orten zunächst allein das Wort zu führen, sah er sich an die Stelle gedrängt, die sonst ich demütig einnehme, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Sein Unbehagen steigerte sich, und ich bemerkte mit Besorgnis, daß er – zunächst

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