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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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Gutshöfen dieser Gegend unterschied. Hinter einem steinernen Wall liegt der Wirtschaftshof mit Hütten, Scheunen und Ställen, und durch eine anmutige kleine Tannenpflanzung erreicht man das wuchtige, von Eichenholz gezimmerte Salhaus mit Treppe und Veranda. Seitlich davon erhebt sich aber auf einem künstlich errichteten, moosbewachsenen Hügel ein zweites, kleineres Haus mit Wänden von Stein und einem Schindeldach. Dieses betretend, glaubte ich mich in die Gemächer eines Bischofs versetzt.
    Zuallererst fiel auf, daß es hier Bücher gab. Noch nie hatte ich in einer gräflichen Wohnung Bücher gesehen. In einem Schränkchen standen prachtvoll gebundene Kodizes, ein bebildertes Werk lag aufgeschlagen auf einer Bank. Einen Schreibtisch mit zierlich geschwungenen Beinen bedeckten Pergamente. Eines davon war erst zur Hälfte beschrieben, und die Feder lag quer auf dem Tintenfaß, so als habe der Graf die Niederschrift eines Briefes oder einer Abhandlung gerade unterbrochen. Auch Wachstafeln, in die Notizen eingeritzt waren, lagen in großer Zahl herum. Die Wände der beiden durch eine offenstehende Tür verbundenen Räume waren mit Malereien bedeckt, die Jesus mit Maria und Martha, die Versuchung in der Wüste und andere biblische Szenen darstellten. In dem kleineren Zimmer, in dem sich das mit einer bestickten Seidendecke überzogene Bett befand, dem Schlafgemach also, sah ich auch Bathseba am Brunnen und Eva beim Sündenfall, wobei sich die Einbildungskraft des Künstlers, zweifellos auf Wunsch seines Auftraggebers, weit mehr an den üppigen Formen als an den erbaulichen Inhalten entzündet hatte. Es war aber auch ein recht anrührend gemaltes Bildnis zu sehen, das die aus Thüringen stammende heilige Radegunde von Poitiers bei der Speisung von Armen zeigte.
    Herr Rothari hieß uns Platz nehmen und ließ Wein bringen, wobei er wie selbstverständlich auf ein steifes Willkommenszeremoniell verzichtete. Wir fanden ihn liebenswürdig, mitteilsam und keineswegs unzugänglich. Schon nach den geschilderten ersten Eindrücken war mir klar, daß ein solcher Mann unter den thüringischen Großen ein Buntspecht unter Saatkrähen war, woraus sich Vorbehalte und Abneigungen leicht erklären. Was uns betrifft, so brachte er uns – insonderheit mir – gleich Vertrauen entgegen. Bereitwillig zeigte er mir seine Schätze im Bücherschrank, darunter einen wundervollen Vergil, aus dem er gleich in fließendem Latein zu rezitieren begann. Als ich vorsichtig, um nicht als überheblich zu gelten, mein Erstaunen zum Ausdruck brachte, im hintersten Thüringen einen so hochgebildeten, kunstsinnigen Mann zu treffen, lachte er und erbot sich sogleich, uns seine Geschichte zu erzählen. In wenigen Worten will ich sie wiedergeben:
    Er war der jüngste von vier Söhnen, und sein Vater hatte beschlossen, das Erbe nicht, wie es bei uns Franken Brauch ist, zu zerstückeln, sondern dem ältesten ungeteilt zu hinterlassen, die anderen aber zu versorgen und abzufinden. Rothari wurde für den geistlichen Stand ausersehen, und schon im Knabenalter brachte man ihn in das Erfurter Peterskloster. Hier hatte er das Glück, die Aufmerksamkeit eines Chorherrn zu erringen, welcher dort lehrte, bald darauf aber von seinem Bischof mit einer Mission an den Heiligen Stuhl betraut wurde. Der Chorherr erbat die Gunst, den jungen, schreibgewandten Rothari als Sekretär und – doch darüber schwieg der Graf, und ich wage nicht, mehr zu vermuten … als Sekretär also mitzunehmen, und es wurde ihm gewährt. In Rom gewann der Chorherr das Vertrauen des Papstes, und bald darauf wurde er zum Legaten ernannt. Nun führten ihn weite Reisen an den Hof König Pippins, des Vaters unseres Herrn Karl, aber auch nach Burgund und Aquitanien. Immer dabei war der junge Subdiakon Rothari, sein Sekretär, der auf diese Weise die Welt, das Reich, das sonnige Italien, das liebliche Gallien, die Paläste der großen Herrn und das aufregende Leben in den Städten des Südens kennenlernte. Eine glänzende Zukunft lag vor ihm, irgendwo in der Hierarchie der Kirche. Dafür versprach sein Gönner zu sorgen. Plötzlich jedoch kamen Nachrichten aus der Heimat, und alles hatte ein jähes Ende.
    Seine drei Brüder waren tot. Einer, der ihm dem Alter nach nächste, war auf einem der ersten Feldzüge des neuen Königs Karl gefallen. Die beiden ältesten aber, die zu Hause geblieben waren, der eine als Gutsherr, der andere als sein Verwalter, hatten Streit miteinander bekommen und diesen

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