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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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beschaffte. Unter dem anfeuernden Geschrei der Gäste rannte die zarte Eddila mit wehendem Schleier durch das Tannenwäldchen, und Irmo, der ihr einen Vorsprung gewähren mußte, verfolgte sie über Stock und Stein, bis sie atemlos innehielt und sich erschöpft und glücklich von ihm einfangen ließ. Mit seinem breiten Siegerlächeln trug er sie durch ein jubelndes Spalier, unter einem Regen von Girlanden und Kränzen. Wahrhaftig, er war am Ziel seiner Wünsche!
    Als wir uns dann an den langen Tischen zum Mahl niederließen, erhielt ich als Nachbarn einen Mann, der mir längst aufgefallen war und dessen Bekanntschaft ich daher nicht ohne Vergnügen machte. Es war ein Hüne mit einem grauen Bart, der ihm fast bis zum Knie reichte, mit einem breiten, verwitterten Kahlschädel und Augen, die Feuer sprühten. Sein Gewand, das bessere Tage gesehen hatte, war geflickt und recht unsauber, doch trug er Ringe und Armreife zum Zeichen seiner Adelswürde. Er sprach laut, mit tiefer, dröhnender Stimme und dabei so wild gestikulierend, daß er jeden Augenblick einen Krug oder einen Becher umstieß. Hinkend, auf einen Stock gestützt, hatte er zuvor die Braut in die Kapelle geführt. Schon vor ein paar Tagen war er mir auf dem Salhof aufgefallen, als er fuchtelnd und stockschwingend, mit Wein gefüllt und ein sehr unanständiges Lied grölend an mir vorübertorkelte. Um dem Brauch zu genügen, hatte es nämlich noch rasch vor der Hochzeit eine kleine Verlobungsfeier gegeben, bei der der Brautpreis gezahlt und ein paar Geschenke überreicht wurden. Daran hatten nur die nächsten Verwandten teilgenommen, und so war auch die Anwesenheit des bärtigen Riesen nötig gewesen. Denn dieser Mann war Meginfred, der Nachfahr der letzten Könige Thüringens, der Vater des Irmo und der Luitgard.
    Ich habe selten eine Unterredung geführt, bei der ich so viel und so oft geknufft, beklopft, gestoßen, geschüttelt und an der Kutte gezerrt wurde, wie diese. Dazu bespritzte mich mein Nachbar mit Saft vom Braten, den er so unmäßig in sich hineinstopfte, daß selbst ich, der ich ja ein wackerer Esser bin, ungläubig staunte. Das Bier soff Herr Meginfred gleich aus den bauchigen Krügen, aus denen es eigentlich erst in Becher und Kannen verteilt werden sollte. Dabei schrie er allerlei Trinksprüche, bei denen ich besser weghörte, zum Beispiel „Freiheit für das Thüringer Land!“ oder „Noch lebt das alte Königsgeschlecht!“ oder „Auf Teudelindes Honigtöpfchen!“, was immer damit gemeint sein mochte. Er gehörte zu denen, die beim Mahl ihren Tischnachbarn vollkommen mit Beschlag belegen. Vielleicht gefiel ihm auch, daß ich ein Fremder war, denn die Einheimischen zeigten wenig Neigung, ihm zuzuhören, und zogen hinter seinem Rücken Grimassen. Natürlich wußte er von meiner amtlichen Eigenschaft, und so stellte er sich zunächst mit pathetischen Getöse vor, zitierte eine endlose Ahnenreihe, benannte verschiedene Punkte an allen Enden der Welt, wo seine Vorfahren schon vor tausend Jahren Siege erfochten hatten, und verfehlte auch nicht, ihren christlichen Glauben zu rühmen, obwohl dieser ja, wie jeder weiß, noch kein Millennium alt und bei den Thüringern vor einem Säkulum noch nahezu unbekannt war. Wir tranken auf sämtliche Siege, wobei mich Herr Meginfred jedesmal an seine Brust drückte, daß mir die Knochen krachten.
    Er kam dann auch auf seine gegenwärtigen Verhältnisse zu sprechen, von denen ich ja schon wußte, daß sie recht dürftig waren. ‚Dämonische Mächte‘, über die er sich nicht näher ausließ, hätten sich gegen ihn verschworen und ihn beinahe in den Ruin getrieben. Doch lasse er sich nicht unterkriegen, denn der Sieg über jene Mächte sei nahe. Habe er doch – und dabei riß er mich wieder an sich und dröhnte mir die Worte ins Ohr – mit seinen eisernen Lenden einen Helden gezeugt, der den Tannengrund und ihn selbst von allem Ungemach befreien werde. Und plötzlich sprang er auf die Beine, schlug mit seinem Stock auf die Tischplatte, daß es Scherben gab, und brüllte:
    „Thüringer! Wehrhafte Männer! Würdige Greise! Stolze Jünglinge! Dies ist eine königliche Hochzeit, denn ein Sproß aus dem unsterblichen Samen Bisins und Hermenefreds heiratet! Ja, so ist es! Habt deshalb Vertrauen, Männer, und seid guten Mutes! Heute hat er sich mit einer edlen Jungfrau vermählt, aber das ist erst der Anfang, es kommt noch besser! Verkriecht euch, Dämonen! Erblaßt, Halunken! Zittert, Räuber,

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