Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Zweifel, daß dieser Unverbesserliche wieder einmal in fremden Gehegen wilderte – ohne Rücksicht auf unsere Amtswürde. Mir war schon aufgefallen, daß er mit einer der edlen Damen äugelte, die am Tische der Frauen saß. Ich fand, daß sie einem Eichhorn ähnelte, wie sie ihr Stückchen Fleisch mit beiden Pfötchen hielt und emsig benagte. Dabei huschten ihre Augen unentwegt hin und her, und zwar zwischen Odo und einem sehr dicken Herrn mit eingedrückter Nase, zweifellos ihrem Ehemann. Der kümmerte sich aber nicht um sie. Dies gab ihr Mut, so daß sie kaum noch still sitzen konnte und man befürchten mußte, sie würde im nächsten Augenblick einen gewaltigen Hüpfer auf Odos Schoß machen. Da aber sah ich, wie mein Freund, dieser Schlaukopf, sich langsam mit dem Handrücken über den Schnurrbart strich, als wolle er das Fett abwischen, und dabei den ausgestreckten Zeigefinger dreimal in eine bestimmte Richtung stieß: die des Tannenwäldchens. Das Eichhorn verstand sofort, denn es erschrak, wurde über und über rot und verschluckte sich. Und nun war es ebenfalls verschwunden.
Um die Verdauung zu befördern, ging ich am Rande der Festwiese auf und ab und spähte dabei immer wieder nach dem Wäldchen hinüber. Ich hoffte, daß Odo dort unbemerkt wieder herauskam und wollte mich ihm notfalls gleich zugesellen, um ihm den Rückzug zu decken. Am liebsten wäre ich hineingerannt und hätte mit den Worten der Schrift gerufen: ‚Laß nicht bei Weibern deine Kraft!‘ Und das Eichhorn hätte ich daran erinnern wollen, daß ‚ein tugendhaft Weib eine köstliche Perle‘ sei. Aber das Unheil war schon geschehen. Als ich wieder einmal stehenblieb und den Hals reckte, stand plötzlich der Graf Rothari neben mir und sagte lächelnd:
„Sucht Ihr jemand, Herr Lupus? Herr Odo ist dort in das Tannenwäldchen gegangen. Ich vermute, auf Erkundung. Falls dabei jemand zu Schaden kommen sollte, zum Beispiel an seiner Ehre, werde ich in diesem Fall allerdings nicht behaupten, daß ich selbst den Auftrag erteilt hätte. Auch wenn es sonst, wie Herr Odo vermutet, meine Art ist, Missetaten in dunklen Wäldern nachträglich durch mein Zeugnis zu decken. Den Herrn dort – es ist Herr Gumbracht vom Geierkamm – möchte ich mir lieber nicht zum Feind machen!“
Er deutete mit dem Kopf nach dem Dicken mit eingedrückter Nase, der ebenfalls am Rande der Festwiese hin- und herlief und wilde Blicke um sich warf. Zweifellos suchte er sein Eichhorn.
„Periculum in mora!“ {20} sagte Rothari und fügte hinzu: „Ich hoffe dennoch, Ihr amüsiert Euch!“
In diesem Augenblick konnte der Graf nicht ahnen, daß er gut daran getan hätte, die spöttische Warnung an sich selber zu richten. Sorglos mischte er sich wieder unter die Gäste, während ich gedemütigt und mit Groll gegen meinen Leichtfuß von Amtsgefährten zurückblieb, außerdem noch in Furcht, es könne jeden Augenblick zwischen Odo und dem Herrn vom Geierkamm zu einem Zusammenstoß kommen. Zum Glück gab es gerade jetzt ein Aufsehen. Alles lief zusammen und bildete einen Kreis, und auch der Dicke und ich wurden neugierig und drängten hinzu.
Ich mußte mich auf die Zehen stellen, um etwas sehen zu können. Zuerst gewahrte ich Herrn Meginfred, der mit seinem Riesenwuchs alle überragte. Er schien eifrig etwas anzuordnen, denn fuchtelnd hinkte er hierhin und dorthin. Dann sah ich auch Irmo und die Eddila, lachend und etwas verlegen. Der Alte winkte Mägde herbei, die den beiden je eine brennende Kerze überreichten. Darauf schleuderte er seinen Stock beiseite und nahm selber zwei Kerzen, die jedoch noch nicht angezündet waren, in jede Hand eine.
„Der Lichtertanz!“ rief er mit Donnerstimme. „Musik!“
Die Musikanten bliesen und kratzten gleich, was das Zeug hielt. Herr Meginfred riß verzückt die Augen auf, reckte den Hals, spreizte die Arme und machte ein paar groteske Sprünge. Die Gäste lachten und spendeten Beifall. Nun näherte er sich dem Brautpaar, das mit den brennenden Kerzen in der Mitte stand, und umkreiste es wie ein alter, lüsterner Faun. Dabei zündete er seine Kerzen an, die in der Rechten an der des Irmo, die in der Linken an der Eddilas. Als dies geschehen war, gab es wieder Beifall, und Herr Meginfred begann jetzt, sich mit den brennenden Kerzen in Händen langsam um sich selber zu drehen. Dazu zog er Grimassen wie ein Possenreißer. Mal mimte er höchstes Glück, dann wieder tiefste Betrübnis, dazwischen Freude, Sorge, Angst,
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