Odo und Lupus 04 - Die Witwe
spätestens jetzt den Namen genannt. Und damit das Feuerurteil verhindert.“
„Aber einen Skandal heraufbeschworen.“
„Er zog es vor, seine Schwester leiden zu lassen.“
„Du glaubst, daß er ihren Liebhaber vor der Entdeckung schützen wollte?“
„Davon bin ich fest überzeugt.“
„Und Rothari?“
„Hatte dieselbe Absicht.“
„Und befahl deshalb die Feuerprobe?“
„Er beugte sich dem Willen des Bardo. Der den Namen ebenfalls wußte.“
„Du meinst …“
„Er wünschte die Frau, doch nicht den Mann zu bestrafen.“
„Aber angeblich hatte doch Hug diesen Mann überhaupt nicht erkannt, mit dem er die Luitgard im Wald …“
„Glaubst du wirklich, daß der garstige Bengel nicht ganz genau hingeguckt hat?“
„Nun, wenn sie alle den Namen kannten … welchen Sinn hatte dann das Gottesurteil? Sie wußten ja, wie es ausgehen würde!“
„Du hast recht. Ein seltsamer Widerspruch. Gottesurteile haben die Eigenschaft, fast immer so auszugehen, wie man es wünscht. Gott ist ein verläßlicher Richter. In diesem Fall allerdings hatte man Gründe, sein Urteil anzurufen, aber nicht anzunehmen. Die schöne Sünderin wurde freigesprochen!“
„Weil ein göttlicher Schuldspruch wieder die Frage nach dem Mittäter gestellt hätte.“
„Den alle kannten, aber nicht anklagen wollten. Nicht einmal die Gepeinigte selbst. Sie schleppte sich auf ihren wunden Füßen in die Versammlung, um seine Unschuld zu beweisen. Sie mußte ihn wohl sehr lieben, jedenfalls mehr, als der Kerl verdiente. Wahrhaftig, ich gäbe etwas darum, ihn kennenzulernen!“
Er schnaufte zornig und spie aus.
Wir hatten nun das Salhaus erreicht. An der Treppe, die zur Veranda führte, hockten unsere Leute im Kreise und würfelten beim Schein eines Kienspans. Aus der Hauskapelle ertönte der zittrige, dünne Gesang einer einzelnen Stimme. Fräulein Eddila war immer noch bei der Abendandacht, die ich selber schon vor einer Stunde beendet hatte. Der junge Herr Thankmar führte zwei Hunde vorüber und grüßte uns. Die Tür des Hauses auf dem Mooshügel war angelehnt, und das helle Licht einer Öllampe warf den Schatten des Hausherrn an die Wand dahinter. An den Bewegungen des Schattens sah man, daß Rothari am Tisch saß und schrieb.
Seit unserem Ankunftstag waren wir nur noch selten mit dem Grafen zusammengetroffen. Entweder saß er in seinem Haus oder auf dem ‚Olymp‘, und da er bis weit in den Tag hinein zu schlafen und die halbe Nacht zu wachen pflegte, ergaben sich nur wenige Gelegenheiten, einander zu sehen. Meistens begegneten wir uns zufällig. Dann erkundigte er sich höflich nach unserm Befinden, fragte, ob wir mit allem versorgt seien oder ob es Klagen gebe und äußerte die Hoffnung, daß wir noch recht lange seine Gäste blieben. Wenn wir Fragen hatten und Auskünfte brauchten, verwies er uns aber an Irmo und an seinen Verwalter. Zu den Mahlzeiten im Salhaus, an denen die beiden Genannten meist teilnahmen, erschien er nie. Er ließ sich die Speisen in sein Refugium bringen, wo ihm nur seine Kinder Gesellschaft leisteten. Seine Gemahlin, die vor etwas mehr als einem Jahr gestorben war, hatte beim Gesinde hinter dem Tannenwäldchen gelebt und ihn wochenlang nicht zu Gesicht bekommen. Es war ohne Zweifel seine Eigenart, sich zurückzuziehen und nur mal gelegentlich aufzutauchen, um dem alltäglichen Treiben ein paar gelangweilte Blicke und Bemerkungen zu widmen. Daß er seine Gewohnheiten auch jetzt, während unserer Anwesenheit, nicht änderte, obwohl wir als hochrangige Abgesandte des Königs alles andere als nur gewöhnliche Gäste waren, mochte allerdings andere Ursachen haben. Die Verstimmung vom ersten Tag, als er sich von uns verhört und verdächtigt glaubte, wirkte wohl nach. Ganz sicher hatte er die gleiche Abneigung gegen Odo gefaßt wie dieser gegen ihn, was zu verbergen beiden durchaus nicht gelingen wollte. Es mochte ihn auch beleidigen (wie viele schon vor ihm), in seiner Amtsführung überprüft zu werden. Da er die Absicht hatte, bald alles aufzugeben, hielt er es schließlich wohl für unnötig, noch besonderen Eifer zu zeigen. Es mußte ihm ziemlich gleichgültig sein, was wir bei Hofe über ihn berichten würden. Vielleicht waren seine Beziehungen zu Herrn Alkuin wirklich so glänzend, daß Lob und Tadel aus unserem Munde bedeutungslos waren.
Was mich betrifft, so wurde ich weiterhin etwas bevorzugt von ihm behandelt, und es lag wohl eher an mir, daß ich nicht regelmäßig im Haus auf dem
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