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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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Halsabschneider und Ehrverletzer …“
    Er kam nicht weiter. Zwei starke Fäuste packten ihn und zwangen ihn, sich wieder hinzusetzen. Ringsum wurde gelacht.
    „Es ist genug, Vater!“ zischte Irmo. „Willst du mich lächerlich machen? Hinauswerfen lasse ich dich, was immer man von mir denken mag. Wer seinen Verstand verloren hat, soll nicht reden. Schweige also! Kein Wort mehr, wenn du es nicht bereuen willst!“ Dann wandte er sich an mich. „Verzeiht, daß Euch dieser alte Mann mit seinem wirren Geschwätz belästigt hat! Glaubt ihm kein Wort und wendet Euch ab, wenn er wieder anfangen sollte. Es könnte ihm auch ein anderer Platz zugewiesen werden, wenn Ihr es wünscht!“
    Ich antwortete, daß dies nicht nötig sei, und Irmo kehrte zu seiner Braut zurück.
    Der Zwischenfall war rasch vergessen. An den langen Tischen auf der Festwiese wurde getrunken und fröhlich gelärmt. Zum Glück blieben die gefürchteten überfallartigen Unwetter aus, den ganzen Tag über strahlte die Sonne vom makellos blauen Himmel. Die jungen Männer waren die ersten, die es nicht mehr an den Tischen aushielten. Knechte führten Pferde herbei, von der kleinen, aber kräftigen Rasse, die sie hier züchten, die Festgewänder wurden abgeworfen, und dann sahen wir die verwegensten Reiterkunststücke. Danach begann ein halsbrecherisches Springen über die Rücken der nebeneinander gestellten Pferde. Viele übersprangen drei, einige sogar vier. Unser Heiko aber ließ ein fünftes dazustehen, und mit einem gewaltigen Anlauf schaffte er es, wobei er sich sogar in der Luft überschlug.
    Etwas später sah ich ihn auch an der Seite des Thankmar beim Stockfechten. Seit jenem ersten Abend im Rabennest waren die beiden Freunde, und wann immer Heikos Dienst es erlaubte, gingen sie gemeinsam jagen oder fischen. Auch heute blieben sie unzertrennlich. Als allerdings später auf der Wiese der Tanz begann, waren sie nicht mehr mittendrin, sondern hockten mit traurigen Mienen abseits. Keine der lieblich geschmückten Jungfrauen, die sich vor ihnen im Reigen drehten, schien ihre Sinne zu entzünden. Heiko dachte wohl an das Engelsgesicht der Meinrade, nach dem er vergebens Ausschau gehalten hatte. Niemand vom Rabennest war gekommen. Dabei hatte man Garibald und die Seinen geladen, auch Frau Luitgard, die Schwester des Bräutigams. Als ich den Thankmar so bekümmert im Gras sitzen sah, erinnerte ich mich einen Augenblick lang daran, mit welcher Ehrerbietung er an jenem Abend die Witwe gegrüßt hatte. Auch an die leidenschaftlichen Blicke, die er ihr zuwarf. Und plötzlich ertappte ich mich dabei, wie ich selbst mir das Bild der marmorstarren Schönen im Geiste herbeirief und mir vorstellte, daß sie vor nicht sehr langer Zeit noch ebenso fröhlich gelacht und anmutig ihre Füße gesetzt hatte wie die Jungfrauen auf der Festwiese. Dies betrübte mich und verdarb mir ein wenig die Stimmung.
    Herrn Meginfred plagten ähnlich düstere Gedanken. Nach der Zurechtweisung durch seinen Sohn, die er knurrend und brummend ertragen hatte, war er tatsächlich eine Weile verstummt, hatte jedoch nicht aufgehört, sich aus Krügen und Kannen zu bedienen. Und wie man es oft bei maßlosen Zechern beobachtet, war dem höchsten Entzücken das tiefste Elend gefolgt. Weil Irmo es ihm verboten hatte, wagte er nicht, mich wieder anzusprechen. So grunzte und brabbelte er vor sich hin, ballte die Fäuste, raufte den Bart und warf jammervolle Blicke um sich. Schließlich begann er sogar zu schluchzen. Ich erkundigte mich, was ihn so bedrücke.
    „Ein Schurke bin ich!“ tönte es dumpf. „Ein Scheusal! Lasterhaft, habgierig, herzlos! Weißt du, was ich getan habe?“
    „Was denn?“
    „Nicht glauben wirst du, daß es einen so gewissenlosen Schuft von Vater gibt.“
    „Nun rede schon. Vielleicht wird dir dabei leichter ums Herz …“
    „Ich habe meine Tochter verkauft! Habe mein Kind geopfert, um mich selber zu retten! Sie war meine Schwalbe, mein Schmetterling … Aber ich habe alles hingegeben, ihre Schönheit, ihre Unschuld … alles! Aus Feigheit, aus Angst, aus Gier! Habe sie büßen lassen … statt selber zu büßen.“
    „Davon hörte ich …“
    „Schlage mich! Spuck mich an! Hau mir aufs Maul!“ heulte er und ergriff meine Hände, als wolle er mich zwingen, ihn zu prügeln. „Ich bin eine Schande für mein altes Geschlecht! Hier sitze ich und saufe mich voll. Und meine Tochter … wo ist sie? Warum ist sie nicht hier? Ihr Bruder macht Hochzeit … sie

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