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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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Meginfred, der herausstürzte und schwankend, sich an einem Pfeiler der Veranda festhaltend, brüllte:
    „Mord! Mord! Mein Sohn … mein Sohn ist umgebracht!“
    Wir glaubten im ersten Augenblick, daß er nur vorgab, die Tat in diesem Augenblick erst entdeckt zu haben. Alle wußten ja, daß er ein wenig verrückt war. Als er dann aber wieder hineinlief und abermals dieses schaurige Geheul ausstieß, wurde uns klar, daß er das Verbrechen an seinem Sohn nicht miterlebt hatte. Wahrscheinlich war er an dem Baumstamm, wo er sich niedergelassen hatte, eingeschlafen. Niemand hatte sich um ihn gekümmert, und so war ihm das schreckliche Schauspiel erspart geblieben. Nun aber stellte er fest, wie schnell und grausam sich sein Lichtorakel erfüllt hatte.
    Allerdings fragte er nicht erst nach den Urhebern. Er erschien zum zweiten Mal vor der Tür, und diesmal schrie er, die Fäuste schüttelnd:
    „Fluch über euch, ihr Ungeheuer! Das ist das Ende vom Rabennest! Ihr sollt die Antwort erhalten, Schurken! Königsblut habt ihr vergossen! Doch es wird über euch kommen, noch ehe die Sonne dreimal untergegangen ist! Das schwöre ich!“
    Mindestens hundert Männer standen dabei und hörten es.

8
    V ier Tage später, am Montag nach jenem verhängnisvollen Donnerstag, war ich allein unterwegs auf einem einsamen Waldpfad. Ich hatte mir einen Stock abgebrochen, auf den ich mich stützte, während ich keuchend bergauf schritt. Von Zeit zu Zeit blieb ich stehen, um zu verschnaufen und auch um die Fortsetzung des sich vielfach windenden Weges zu suchen, der sich oft genug im Gestrüpp verlor. Einmal erfrischte ich mich an einem Bach, den ich durchwaten mußte, und lief dann lange am Ufer auf und ab, bis mir ein paar abgehauene Äste die Richtung wiesen. Es war früher Morgen und unter den Bäumen noch angenehm kühl. Nur wenige Sonnenstrahlen durchdrangen das dichte Blattwerk.
    Ich war unterwegs zum Rabennest. Der Pfad, dem ich folgte, war derselbe, auf dem wir vor etwa drei Wochen, nach der ersten ereignisreichen Nacht, von der Felsenburg herabgestiegen waren. Zunächst hatte Odo vorgeschlagen, gemeinsam hinaufzugehen, begleitet von unserm Wachtrupp. Doch ich konnte mich mit meiner Ansicht durchsetzen, daß es wohl besser war, den Stolz und den Trotz der Herren dort oben so wenig wie möglich herauszufordern. Als friedlicher Unterhändler wollte ich anklopfen, allein und waffenlos, nur mit dem guten Willen gerüstet, zu versöhnen und weitere Untaten zu verhindern.
    Der Mord an Irmo hatte unseren Plan durchkreuzt, gleich nach dem Fest abzureisen. Als Kommissare des Königs hätte es uns nicht gut angestanden, den Tannengrund jetzt zu verlassen. Noch größeres Unheil lag in der Luft. Alte Vorurteile und Feindschaften hatte der Tod des jungen Adalings, auf dem so viele Hoffnungen ruhten, plötzlich geweckt. Schon am Morgen nach der Tat waren die Gäste des Grafen mit harten Worten und einige sogar mit Fäusten aneinandergeraten. Herr Gumbracht vom Geierkamm, der eine Schuld seiner Freunde vom Rabennest bestritt, wurde blutig geschlagen. Schließlich stoben sie alle im Zorn auseinander.
    Als vollkommen unfähig, mit der Lage fertigzuwerden, erwies sich der Graf Rothari. Statt energisch einzugreifen, notfalls zu drohen oder die Störenfriede vorübergehend festzunehmen, verkroch er sich in sein Refugium. Er überließ es Odo und unseren Leuten, die Ordnung einigermaßen wiederherzustellen. Als er endlich wieder erschien, brachte er uns zwei gesiegelte Pergamente. Das erste, sein Entlassungsgesuch, sollten wir nach unserer Rückkehr dem König, das zweite, einen persönlichen Brief, Herrn Alkuin überreichen. Rothari war sichtlich verstört und voller Unrast. Auf unsere Frage, was er denn vorhabe, erklärte er, sein Allod, seine Unfreien und alle Fahrhabe verkaufen und mit seinen Kindern das Unglückstal, in dem niemand mehr seines Lebens sicher sei, für immer verlassen zu wollen. Zuvor aber müsse er unverzüglich zu seiner Schwester nach Gotha reisen, um Eddila vorübergehend dort unterzubringen. Nicht zuzumuten sei es dem armen Geschöpf, das entweder schreie oder sich in gräßlichen Krämpfen wälze, länger an diesem Schreckensort zu bleiben. Da wir das einsahen, hielten wir ihn nicht auf. Doch ermahnten wir ihn, sofort zurückzukehren, um bis zur Entscheidung des Königs sein Amt zu versehen.
    Wir beschlossen, nun doch ein Vollding {21} durchzuführen. Es war dringend nötig, die unruhigen Köpfe daran zu erinnern, daß der Arm

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