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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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als habe eine marmorne Statue sich in das lebendige Modell zurückverwandelt. Die Blässe der Haut war einer lieblichen Röte gewichen, wohl auch infolge der gerade genossenen Liebesfreuden. Sogar die Lippen hatten Farbe gewonnen, wenngleich sie noch immer ein ernster, strenger Zug beherrschte. Das dunkle Auge erschien mir jetzt leidenschaftlich beseelt von allem, was diese Frau empfinden mochte: Trauer, Liebe, Hoffnung, aber vor allem Haß. Denn es war ein haßerfüllter, glühender Blick, den sie hinüber zum schwarzen Felsen warf. Und dann geschah es.
    Sie löste das Stirnband. Es war ein breites, sehr tief in die Stirn, knapp über die Augenbraue gezogenes Band, welches das über die rechte Gesichtshälfte herabgestrichene Haar befestigte. Nun hing dieses dichte braune Haar wie ein Vorhang locker herab, und Frau Luitgard schob ihn beiseite. Was sie enthüllte, war kein Gesicht mehr. Um ein schwarzes Loch anstelle des Auges wucherte zerstückeltes Fleisch, von ein paar Hautfetzen überwachsen. Eine feuerrote Narbe ging mitten hindurch vom Haaransatz bis zum Mundwinkel.
    Ich habe schon manches ertragen, habe Lepröse, Pestkranke, Gefolterte und unzählige Leichen gesehen. Aber kaum je erschrak ich so wie beim Anblick dieses geteilten Gesichts – halb Madonnenantlitz, halb Höllenfratze. Ein greller Schmerz durchzuckte mein Hirn, der Atem stockte mir. Ich machte eine heftige Bewegung, doch die Witwe bemerkte es nicht, weil sie sich im selben Augenblick wieder umdrehte. Sie beugte sich nieder und entschwand meinem Blick.
    Ich vernahm nun verschiedene Geräusche, die auf irgendeine Geschäftigkeit hindeuteten. Allmählich überwand ich die Lähmung, die der Schreck verursacht hatte. Ich wurde aufmerksam, und meine Neugier regte sich. Vorsichtig bog ich die Zweige beiseite und kroch ein paar Schritte weiter. Von den Blättern gedeckt, doch zwischen ihnen hindurchspähend, sah ich schließlich, was ich wollte.
    Frau Luitgard kniete im Gras und blies ein Feuer an. Als es züngelte, umgab sie es mit Steinen, so daß eine Kochstelle entstand. Auf diese stellte sie einen Kessel, in dem gleich darauf etwas aufkochte, von dem mir der Wind einen bitterscharfen Geruch zutrug. Einem Sack entnahm sie allerlei Zutaten für ihr Zauberwerk. Nur weniges konnte ich erkennen. Eine Vogelkralle und ein Mauseschwanz waren dabei, irgendein Pulver und mehrere Kräuter. Ein schwärzlicher Rauch stieg aus dem Kessel empor.
    Nun erhob sich die Witwe, und ich sah ihre ganze Gestalt. Sie hatte das Obergewand und den Gürtel abgelegt und trug nur ein weißes Hemd aus sehr dünnem Stoff, das ihr bis unter das Knie reichte. Ihr biegsamer Leib hätte jeden Heiligen in Versuchung geführt, die Standhaftesten nicht ausgenommen. Er schien zum Tanzen, zum Schweben gemacht zu sein.
    Doch abermals brauchte ich alle Willenskraft, um mein Erschrecken nicht zu bekunden. Frau Luitgard bückte sich, löste die Schnallen und streifte die Schuhe ab. Anstelle der Füße kamen zwei über und über von Verbrennungsnarben durchzogene Fleischklumpen zum Vorschein. Die Witwe richtete sich wieder auf und machte ein paar Schritte. Es waren eher wacklige kleine Sprünge, wobei sie den Oberkörper vor- und zurückwarf und mit den Armen ruderte. Gaukler hätten ihr dies absehen können, um die Leute auf den Märkten zum Lachen zu bringen.
    Sie bedeckte den Kopf mit einem Schleiertuch und umkreiste auf diese Weise mehrmals den Kessel. Dann blieb sie stehen und sog mit tiefen Atemzügen den Rauch ein. Wieder wand sie die Hände mit den eigenartigen Schlangenbewegungen, die ich schon einmal, während des Kampfes zwischen Irmo und den Rabennestbrüdern, beobachtet hatte. Zuerst stieß sie dabei nur Laute, später Worte und abgerissene Sätze aus. Dann murmelte sie Beschwörungsformeln. Als sie am Ende den Arm ausstreckte, die Stimme hob und ein schrilles „Wehe! Wehe! Wehe!“ ausstieß, erschrak ich zum dritten Mal.
    Die Hexe!
    Sie war es. Sie war die Frau vor der Höhle, die uns vor den vom Himmel gefallenen Bäumen und vor der Blutquelle gewarnt hatte. Das weiße Gewand, der verhüllte Kopf, die Beschwörungshaltung, das schrille „Wehe!“ … alles stimmte mit dem überein, was ich jetzt sah. Auch die Beschreibung des Fulk, der nur die zerstörte Seite ihres Gesichts gesehen hatte, weil es ihr gelungen war, die unversehrte zu bedecken, um später nicht wiedererkannt zu werden. Schließlich der torkelnde Schatten an der Höhlenwand, den ich bemerkt hatte, als sie die

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