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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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sollte, bezweifelte ich. Auf jeden Fall tat sie es, um ihm gefällig zu sein. Und nun war er dorthin unterwegs. Seine Geliebte verlangte von ihm, Rache für den Tod ihres Bruders zu nehmen, bevor sie einwilligte, seine Frau zu werden.
    Als ich so in den Ästen des Ahornbaums hing, fluchte ich – Gott verzeihe mir's – dem jungen, törichten Kerl, der mich in diese Lage gebracht hatte. Aus Verliebtheit und Verblendung mischte er sich in eine Blutfehde. Kam er zum Ziel, zog er sich und die Seinen mit hinein. Dann waren schon drei Familien verstrickt. Vielleicht waren es bald vier oder fünf, und das Morden ging endlos weiter. Wenn ein solcher Wahn erst um sich griff, konnte er ganze Gegenden entvölkern.
    Ich war allerdings nicht nur wütend auf den unbesonnenen jungen Mann, sondern auch um sein Schicksal besorgt. Er nahm es mit Leuten auf, die im Töten Erfahrung hatten. Um sich dem Hug zu nähern, der vielleicht durch seine Verletzung behindert war, mußte man an seiner rohen Horde vorbei. Konnte das gutgehen? Ich hatte viel Zeit verloren. Vielleicht war er schon in sein Verderben gelaufen.
    Bei diesem Gedanken hielt es mich nicht mehr in meinem Versteck. Noch immer unschlüssig, was ich tun sollte, rutschte ich von meinem Sitz auf dem Ast, um vorsichtig wieder hinabzuklettern … Da sah ich ihn plötzlich!
    Es war nur ein kurzer Augenblick. Ich sah ihn nicht einmal lange genug, um Atem zu einem Schrei zu holen. Der steile Hang, an dem mein Ahornbaum stand, gab die Sicht frei auf eine benachbarte Höhe, wo er gerade wieder zwischen die Bäume zurücktrat, nachdem er wohl Ausschau gehalten hatte. Aber er war keine zweihundert Schritte von mir entfernt! Vielleicht war noch nichts geschehen, ganz sicher nicht, und ich konnte noch eingreifen. Ich brauchte ja nur dem Steilhang zu folgen und mußte dann irgendwie auf die nächste Erhebung gelangen. Es gab kein Besinnen. Diesen Dienst mußte ich meinem geschundenen Leib noch abverlangen.
    Ich ließ mich am Stamm hinuntergleiten und sprang ins Gras. Mein linker Fuß kam dabei etwas unglücklich auf, und ich verspürte einen Schmerz. Gleichzeitig riß der Riemen meiner Sandale. Dies letzte Mißgeschick verdroß mich so, daß ich heftig aufstampfte. Abermals zuckte es schmerzhaft, doch ich achtete nicht darauf und zog die Sandale aus, um mir den Schaden anzusehen. Als ich wieder aufblickte, erschrak ich. Rasch verbarg ich mich hinter dem Stamm. Zwei Männer waren zwischen den Bäumen aufgetaucht. Ich erkannte sie gleich: junge Adalinge aus der Gefolgschaft des Hug. Vorsichtig lugte ich durch die Gabel des Ahornstammes und sah, wie sie sich etwa fünfzig Schritte entfernt im Gestrüpp zu schaffen machten. Dort lag der verendende Keiler, dem sie jetzt wohl den Todesstoß gaben. Offenbar waren sie ihm gefolgt, nachdem sie ihn vorher gejagt und verwundet hatten. Nach einer Weile traten sie aus dem Gestrüpp hervor, mit einem Jagdspieß, an dem der Kadaver hing, über der Schulter. Es waren zwei große, kräftige Kerle, doch die mächtige Last zwang sie, langsam zu gehen. Allmählich verschluckte sie der Wald.
    Mein erster Gedanke war, ihnen zu folgen. Ihr Ziel mußte ja die Hütte sein. Ich erwog sogar kurz, sie anzurufen und einzuweihen. Dies verwarf ich aber sofort, denn viel zu ungewiß war, was sie tun würden. Vielleicht hätte ich damit gleich dem Thankmar das Todesurteil gesprochen. Mir selbst vielleicht auch. Aber noch anderes Unheil drohte, daher konnte ich mich ihrem schwerfälligen Trott nicht anschließen.
    Ich mußte vor ihnen die Hütte erreichen.
    So führte ich mein ursprüngliches Vorhaben aus und eilte am Rande des Steilhangs dahin. Ich trug beide Sandalen in der Hand, hatte notgedrungen auch die rechte ausgezogen. Spitze Steine und Dornengezweig marterten meine bloßen Füße, aber das war nicht das Schlimmste. Bald merkte ich, daß der Sprung vom Ahornbaum nicht folgenlos geblieben war. Der Schmerz im linken Fuß wiederholte sich bei jedem Schritt, den ich tat, und als ich kurz innehielt, um das Gelenk zu betasten, spürte ich, daß es bereits geschwollen war. Ohne Zweifel hatte ich eine distractio, eine Verzerrung oder Verstauchung, erlitten.
    Diese Erkenntnis war nicht gerade geeignet, meinen Mut zu beflügeln. Ich bereute jetzt heftig, mich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Wie sollte es ausgehen? Unter den gegebenen Umständen konnte nichts mißlicher sein als eine solche Behinderung.
    Mit dem verletzten Fuß vorsichtig auftretend, legte ich

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