Odo und Lupus 04 - Die Witwe
den Mut, sich zur Wahrheit zu bekennen“, nahm Odo wieder das Wort. „Wir wollen ihm zum Nachdenken Zeit geben. Inzwischen, Herr Garibald, werde ich Eure Frage beantworten. Eure Tochter Meinrade ist nicht verschwunden … weder im Kloster noch sonst irgendwo. Wir hatten Gründe, die Wahrheit zunächst noch zurückzuhalten. Es ist viel schlimmer. Eure Tochter ist tot!“
Es versteht sich, daß diese Nachricht die größte Bestürzung auslöste. Von den Fichten und Tannen her ertönte ein Schrei. Ich bemerkte erst jetzt eine kleine Gruppe von Frauen, die offenbar ihre Männer zur Dingstätte begleitet hatten und dort, wohl eine Art Gewohnheitsrecht wahrnehmend, aus Neugier geblieben waren. Frau Bathilda hatte geschrien. Außer sich rang das kleine, hutzlige Weiblein die Hände, vom Klagechor der Frauen begleitet.
Herr Garibald aber, dunkelrot im Gesicht, verließ seinen Platz im Ring und trat hitzig vor Odos Richterstuhl.
„Was höre ich da von Euch?“ schrie er. „Tot? Meine Tochter ist tot? Wer hat sie umgebracht? Wer war das?“
Er packte Odo mit beiden Fäusten und zerrte an seinem Mantel. Doch da erhielt er einen Stoß, der ihn acht, zehn Schritte zurücktaumeln ließ.
„Beherrscht Euch!“ donnerte Odo. „Vergeßt nicht, Ihr steht vor den Vertretern des Königs! Dort ist Euer Platz als Angeklagter!“
„Ihr seid mit ihr hinaufgestiegen!“ heulte Garibald. „Ihr wart für sie verantwortlich!“
„Schweigt jetzt und hört, was ich Euch zu sagen habe! Bevor Eure Tochter starb, machte sie uns ein Geständnis. Sie bekannte, jemand den Weg nach der Hütte gewiesen zu haben. Es war der Mörder des Hug! Natürlich ahnte sie nicht, was er vorhatte. Erst als sie vor den Trümmern der Hütte stand, ging ihr die schreckliche Wahrheit auf. Und immer wieder schrie sie die Worte: ‚Wenn das mein Vater erfährt, bringt er mich um!‘ Während wir den Ort des Verbrechens untersuchten, wollte sie unserm Verletzten, dem Vater Lupus, einen Krug Wasser holen. Sie kam nicht zurück. Keiner von uns, die mit ihr waren, kannte die Gegend. Wir suchten sie lange und fanden sie endlich. Auf dem Grund eines Waldsees. Sie hatte sich selber den Tod gegeben.“
„Wer war es, dem sie den Weg wies?“ stieß Garibald heiser hervor.
„Ich war es!“
Er hatte ganz vorn in der zweiten Reihe, schmal und in sich zusammengekrochen, hinter dem Rücken eines bulligen Mannes gesessen. Jetzt stand er auf. Sein Haar hing ihm wild in die Stirn. Aus seinen Augen starrte Verzweiflung.
„Ich war es!“ schrie Thankmar noch einmal. „Ich habe sie nach dem Weg gefragt!“
Da sprang auch der Graf von seiner Bank auf.
„Was fällt dir ein? Bist du nicht mehr bei Sinnen?“
„Ich bin ein Schuft! Ein gemeiner, niedriger Lump! Ich habe die Meinrade betrogen! Habe ihr vorgemacht, daß wir noch heiraten könnten! Habe behauptet, ich wollte Hugs Freundschaft gewinnen, damit er für uns den Fürsprecher machte! Dafür zeigte sie mir den Weg, und ich …“
Er verstummte mit einer hoffnungslosen Geste. Odo gab einem unserer Recken ein Zeichen, ihn in den Ring zu führen. Herr Rothari wollte protestieren, aber Odo wies auch ihn scharf zurecht und forderte ihn auf, wieder Platz zu nehmen. Kopfschüttelnd fügte sich der Graf, wobei er etwas von ‚Willkür‘ murmelte.
„Du also hast den Hug getötet“, sagte Odo, als sich der junge Mann im Ring befand. „Warum?“
Man mußte Mitleid mit diesem Verirrten haben, der mit weinerlich zuckenden Lippen, gekrümmten Schultern, zerrissenem Hemd und über den Boden schleifenden Wadenbändern vor unseren Richterstühlen stand. Sein unsteter Blick suchte den der Witwe, die aber starr an ihm vorbeisah. Odo mußte die Frage wiederholen.
„Warum ich das tat? Er tötete Irmo … Das war mein Freund … mein Vorbild … mein Lehrer. Ein edler Mensch, ein unerschrockener Held! Der Hug dagegen … Es mußte sein, ich bedauere es nicht! Schuldig bin ich nur, weil die Meinrade … weil sie sterben mußte, damit ich … Ich will jede Buße auf mich nehmen … die schwerste …“
„War es dein eigener Entschluß, den Hug zu töten?“ Odos Frage schnitt das Gestammel scharf ab.
„Ich … ob es mein … ich verstehe nicht …“
„Wer hat dich angestiftet?“ schrie Garibald.
„Angestiftet? Wieso denn angestiftet? Es war meine Pflicht … ich konnte nicht anders. Niemand hat mich …“
„Sie war es! Meginfreds Tochter, die Zauberin! Mit Teufelswerk hat sie ihn dazu gebracht! Mit
Weitere Kostenlose Bücher