Odo und Lupus 04 - Die Witwe
gewollt – mit ihrem bösen Sinn, der darauf aus ist, zu vernichten, Zwietracht und Unheil zu verbreiten und Gutes mit Schlechtem zu vergelten. Bei uns hat sie schon ihr Werk vollbracht! Tot sind alle: Bardo, mein Bruder … Allard und Hug, meine Neffen … und nun auch meine Tochter Meinrade. Ich selbst aber stehe als Mörder da, der einen Unschuldigen ums Leben brachte! Kann das alles mit rechten Dingen zugehen? Muß es nicht Teufelswerk sein, daß einer einzigen Familie in einer Zeit von wenigen Monaten so schreckliches Unglück zustieß? Es war allein diese Frau, die uns zugrunde gerichtet hat, die von dem Augenblick an, als sie zu uns ins Rabennest kam, besessen war von dem einzigen Ziel: uns allen den Garaus zu machen. Sie haßte uns! Sie verfluchte uns! Sie bot alle Kräfte der Hölle gegen uns auf! Dabei schonte sie nicht einmal ihre eigene Familie. Wer würde die eigenen Leute opfern, um andere zu vernichten? Sie tat es! Ihr Bruder und auch ihr Vater sind umgebracht … Opfer des sinnlosen Mordens, das nur ihrer bösen Lust auf Zerstörung entsprang. Und mehr noch: Feindschaft säte sie zwischen zwei große Familien, die sich verschwägern, die ihre Kinder miteinander verheiraten wollten! Was wurde aus diesen Kindern, Rothari? Die aus meiner Familie sind tot. Du aber hast eine Tochter, die lebendig ins Grab steigt, ins Kloster, und einen Sohn, der seine Braut, die ihn liebte, betrog und ins Wasser trieb, einen Mord beging und eine Teufelin heiraten will! Und was wird weiter geschehen? Wer werden die nächsten sein, die das Unheil trifft? Wir selbst! Wir werden elend zugrunde gehen …“
Dies alles trug Garibald gewissermaßen in einem Atemzug vor, schreiend, brüllend, die Hände ringend, sich mit den Fäusten gegen die Brust schlagend, am Ende von verzweifeltem Schluchzen geschüttelt. Der Herr des Rabennests hatte sein letztes Rettungstau gepackt und hielt sich mit zäher Kraft daran fest. Nach dem Geständnis des Thankmar war es nur dies noch, was ihn vor der Verurteilung zu einem ruinösen Wergeld von 600 Solidi bewahren konnte. Ich mußte an Odos Ausspruch von dem leidenden Teil der Menschheit denken, den man in letzter Not mal wieder ins Spiel brachte. Auch Herr Rothari ergriff dieses Tau, um seinen Sohn vor der gleichen Strafe zu retten. Pathetisch rief er:
„Ich verstehe deine Erregung, Nachbar! Und ich danke dir für die Warnung! Die Ursache unseres Unglücks ist klar. Und deshalb …“ Er raffte den Mantel und trat, seinen edlen Römerkopf hoch erhoben, entschlossen vor unsere Richterstühle. „Und deshalb, meine Herren Königsboten, könnt Ihr in diesem Falle nur eins tun: sowohl Herrn Garibald vom Rabennest als auch meinen Sohn Thankmar von jeder Schuld freisprechen! Mein Sohn geriet unter fremden Einfluß, er ist nicht verantwortlich. Daraus folgt, daß der Tod des Hug zwar nicht durch Meginfred selbst, wohl aber durch seine Tochter veranlaßt wurde! Herr Garibald ist damit entlastet, weil er nach altem Volksrecht das, was ihm angetan wurde, an einem Mitglied der feindlichen Sippe vergalt. Ich erwarte nicht, daß Ihr die Frau dort bestraft, obwohl ihre Schuld erwiesen ist. Überlaßt das nur uns, wir werden die richtigen Mittel finden. Sie ist vielleicht selbst nur das Opfer und Werkzeug des Bösen. Wir werden sie nötigen, in die Kirche zu gehen und Buße zu tun. Vielleicht lassen wir auch den Bruder Teufelsaustreiber vom Erfurter Kloster kommen. Ordnet das an, und es wird geschehen! Aber bringt diesen Fall nun zu Ende. Da warten noch viele auf Euern Spruch!“
Es bedurfte nur eines Blickes, um uns zu verständigen.
„Nach dem Gottesurteil der Teufelsaustreiber!“ erwiderte Odo. „Wahrhaftig, es fällt Euch stets etwas Neues ein, wenn es um die Gerechtigkeit geht! Ist das ein Antrag oder eine Forderung?“
„Sowohl das eine als auch das andere!“
„Dann laßt Euch darüber belehren, daß weder das eine noch das andere zulässig ist. Die scabini haben kein Recht zu solchen Bekundungen vor der Versammlung. Ihr könnt Euch dann bei der Beratung des Urteils äußern. Nehmt also wieder Platz und schweigt! Ihr habt uns einmal eine Geschichte erzählt, Rothari. Jetzt wollen wir die gleiche Geschichte noch einmal hören …“
12
A ls ich ein kleines Mädchen war“, begann die edle Frau Luitgard, nachdem man den Stuhl, auf dem sie saß, etwas näher zu uns gerückt hatte, „lehrte mich meine Großmutter den Gebrauch von Kräutern und stärkenden Tränken. Damit tat sie
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