Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Kräutern, Tränken und Zaubersprüchen! Auch die Meinrade hat sie auf dem Gewissen …“
Es war Frau Bathilda, aus deren zahnlosem Mund diese Anklagen kamen. Sie stand jetzt unmittelbar am Ring, ein Bild des Jammers und der Empörung. Immer wieder stieß sie den Finger nach der Luitgard.
„Ja, diese Frau war es!“ rief nun auch Garibald. „Die schändliche Witwe meines Bruders! Ihr verdanken wir alles Unglück!“
„Sie ist eine Hexe!“ schrie seine Gemahlin.
Frau Luitgard saß immer noch reglos in der Mitte ihrer Verwandten. Doch war ihre Haltung jetzt gespannt, so als wolle sie jeden Augenblick aufspringen. Ihr schöner Kopf mit dem langen Haar, das die rechte Hälfte ihres Gesichts verdeckte, war zurückgeworfen, das Kinn gereckt, der schmale Mund zusammengepreßt. Die eine Hand krampfte sich um die Stuhllehne, die andere griff in das Gewebe des weiten, bestickten Umhangs, der ihr bis zu den Füßen wallte. Ein rascher, glühender Blick traf Odo, als erwarte sie nur ein Zeichen von ihm.
Der aber wandte sich dem Garibald zu und herrschte ihn an:
„Wie kommt Ihr zu einer so ungeheuerlichen Behauptung?“
„Nun, wie hätte sie ihn denn sonst dazu bringen können? Seht ihn Euch an! Er ist sanft wie ein Schaf, tut keiner Fliege etwas zuleide. Und plötzlich steigt er hinauf in die Berge, um einen Mann zu ermorden!“
„Sie hat ihn verzaubert!“ kreischte wieder die Frau Bathilda. „Er hat ihr sogar Geschenke gebracht!“
„Ja, so ist es!“ bestätigte Garibald hastig. „Wir haben das alles genau beobachtet! Er kam in letzter Zeit oft ins Rabennest. Suchte sich immer neue Vorwände. Erst dachten wir, wegen der Meinrade. Doch um die kümmerte er sich gar nicht. Wenn man ihn aus den Augen ließ, trieb er sich im Webhaus herum. Sprach mit der Luitgard, angeblich, um ihr Nachrichten von ihrem Bruder zu bringen. Auch die Geschenke, die Fibeln und Armreife, kamen angeblich von ihrem Bruder. Dabei waren sie von ihm selbst, denn sie hatte ihn in sich verliebt gemacht, um ihm nach und nach ihr Gift einzuflößen …“
„Ihr Gift?“ Der Sohn des Grafen ermannte sich plötzlich und fuhr mit einer so heftigen Geste gegen Garibald los, daß der erschrocken ein paar Schritte zurücktrat. „Warum schmäht und verleumdet Ihr sie? Mit meiner Tat hat sie nichts zu tun! Ich allein war es, und ich will dafür einstehen! Wenn Ihr jedoch behauptet, daß ich sie liebe, so sprecht Ihr die Wahrheit. Ja, so ist es! Ich habe nur einen einzigen Wunsch: daß sie meine Gemahlin wird. Aber das hat sie nicht mit Kräutern und Tränken und Zaubersprüchen erreicht!“
Diese kühne Entgegnung ließ die Versammlung wieder aufkochen, bis plötzlich ein scharfes „Genug!“ wie ein Wasserguß hineinfuhr.
Der Graf war abermals aufgestanden. Mit einer gebieterischen Geste befahl er Ruhe.
„Ob es den Herren Richtern paßt oder nicht – dazu werde ich sprechen!“ rief er mit Zornbeben in der Stimme. „Wenn mein Sohn, der mein Erbe und Nachfolger sein wird, eine so schwere Tat begangen hat, ist es unmöglich, daß dies aus eigenem Antrieb geschah! Er ist ein Adaling und ein Christ, hat eine gute Erziehung genossen. Nie würde er selbst auf den Gedanken gekommen sein, einen Mann zu ermorden. Es gibt dafür nur eine Erklärung. Mein Sohn geriet unter den Einfluß von Kräften, die aus heidnischen und teuflischen Quellen gespeist sind. Eine Frau, die über solche Kräfte verfügt, hat ihn in ihre Gewalt gebracht. Ihr habt es gehört: Er wünscht sich nichts mehr, als daß sie seine Gemahlin wird. Gestern erfuhr ich von diesem unnatürlichen Wunsch, den ich selbstverständlich entrüstet abschlug. Doch ist das für mich der Beweis, daß ihn ein fremder Wille beherrscht!“
„Wie recht du damit hast, Rothari!“ fiel Herr Garibald eifrig ein. „Dein Thankmar, ein hübscher Bursche … verliebt sich in eine halbblinde, lahme Frau … will sie heiraten! Nur eine Zauberin kann einen jungen Mann so verwirren!“
„Und doch wird sie meine Gemahlin!“ rief Thankmar.
„Niemals!“ gab sein Vater zurück.
„Ich bin nicht mehr in deiner Munt!“
„Du wirst mir gehorchen!“
„Ich werde fliehen! Mit ihr fortgehen!“
„Daran werde ich dich zu hindern wissen!“
„Merkst du endlich, Rothari?“, rief Garibald, „daß sie auch dich ruinieren will? Gib acht, sei wachsam! Sieh mich an … Hier stehe ich als der Letzte meiner Familie, zu der nur noch Greise und alte Frauen gehören. Von Anfang an hat sie das
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