Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
sie ausgestreckt. Sie bat den Herrn, er möge verhindern, daß man sie wegrisse von ihrem Sohn. Auch ich vergoß heiße Tränen und betete mit ihr, denn ich liebte den Knaben. Fausta hatte ihn mir zur Unterweisung im Glauben übergeben. Dazu setzte sie sogar bei Pappolus durch, daß ich in ihrem Haus eine Kammer bekam. Eines Nachts schreckte ich durch Lärm aus dem Schlaf auf. Da sah ich den Friesen und den Koch, wie sie die edle Frau aus ihrem Zimmer schleppten, die Treppe hinunter und durch den Garten auf die Gasse. Sie wehrte sich heftig … doch was half es? Man warf sie gefesselt auf einen Eselskarren, der sich sofort in Bewegung setzte. Der schreiende Knabe wollte ihr nachstürzen, aber Pappolus selber hielt ihn zurück. So brachte man sie in das Kloster.“
„Und was wurde nun aus dem Knaben?“
„Er blieb im Haus, unter meiner Obhut. Aber ich konnte natürlich nicht dauernd um ihn sein. Die Pflichten! Ansegisel war immer kräftig und fröhlichen Sinnes gewesen, doch auf einmal wurde er blaß und traurig. Ich dachte erst, daß es der Schmerz sei, wegen der Trennung von seiner Mutter. Ich versuchte es mit tröstendem Zuspruch und mit Ablenkung, indem ich ihm Aufgaben stellte. Vergebens … Bald klagte er über Kopfschmerzen, bald über Leibschneiden … sein starkes Lockenhaar wurde strähnig und dünn … und nach zwei Wochen war es aus mit ihm. Wir begruben ihn auf unserem Gottesacker, dort hinter der Kirche.“
„Wie lange ist das jetzt her?“
„Sieben Monate. Es war Anfang November. Elf Wochen, nachdem sie dem Knaben die Mutter genommen hatten.“
„Und hat die edle Frau vom Tod ihres Sohnes Nachricht erhalten?“
„Pappolus wollte es vor ihr verheimlichen. Angeblich, um ihr Leid zu ersparen. Ich aber schrieb ihr trotzdem, doch bin ich nicht sicher, daß sie den Brief erhalten hat. Ich gab ihn einem unserer Kaufleute mit, der das Kloster mit Weihrauch beliefert. Er mußte ihn bei der Schwester Pförtnerin lassen. Eine Antwort bekam ich nicht. Seit Fausta im Kloster ist, habe ich nichts mehr von ihr gehört!“
Sallustus starrte mich an und schien auf weitere Fragen zu warten.
„War der verstorbene Knabe Uniberts Sohn?“
„Die edle Frau war nur einmal vermählt.“
„So war er der Erbe seines Vaters.“
„Du sprichst es aus, Bruder, ihm stand alles zu. Pappolus war nur bis zur Volljährigkeit sein Muntwalt.“
„Aber nach dem Tode des Knaben …“
„… konnte er alles an sich reißen. Die Mutter des Erben, die es verhindern konnte, hatte er ja hinter Klostermauern verbannt.“
„Habt Ihr in Euerm Brief an sie einen gewissen Verdacht geäußert?“
„Nur mein Erstaunen. Ich mußte vorsichtig sein.“
„Erstaunen … worüber?“
„Daß ein gesundes, blühendes Kind ohne erkennbare Ursache plötzlich erkrankte und starb.“
„Ja, das ist seltsam. Allerdings konnte sich der Bischof nicht lange des Vorteils erfreuen, der ihm auf diese Weise zufiel.“
„Es war die Hand Gottes!“ zischte Sallustus, ohne zu zögern.
„Meint Ihr? Aber habt Ihr nicht heftig dafür plädiert, daß es der Jude Tobias war?“
„Freilich war es der Jude Tobias. Gott, der allmächtige Lenker, bediente sich dieses Ungläubigen, um ihn gleich mit zu vernichten. Verstehst du das?“
„Ich gebe mir Mühe, es zu verstehen.“
Noch immer starrte er mich unverwandt an. Jetzt packte er mich sogar an der Kutte.
„Bruder Lupus!“ Er senkte seine Stimme bedeutsam. „Du hast nun die Geschichte gehört und, so scheint es mir, einigen Anteil genommen. Sagtest du nicht, du gingest dorthin, wohin der Herr deine Schritte lenkt?“
„Das sagte ich.“
„Wenn er nun deine Schritte zunächst in diese Kirche gelenkt hätte, damit du vernahmst, was ich zu berichten hatte …“
„Das wäre möglich.“
„Und wenn es seine Absicht wäre, dir durch meinen Mund eine Aufgabe zu übertragen?“
„Eine Aufgabe?“
„Begib dich nach jenem Kloster, Bruder, dem Kloster der drei Marien! Bitte um Unterkunft, verschaffe dir Eintritt! Suche Fausta, nutze all deine Schlauheit und Findigkeit, um sie zu sprechen, möglichst unter vier Augen! Das wird sicher nicht leicht sein, vielleicht bewacht man sie, und sie lebt ausgeschlossen aus der Gemeinschaft der Nonnen. Notfalls gewinne eine Vertraute oder lasse ihr irgendwie eine schriftliche Nachricht zukommen. Sie ist gebildet, sie kann lesen.“
„Und welche Botschaft soll ich ihr bringen?“
„Daß ihren Schwager Pappolus die Strafe Gottes ereilt habe!
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