Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Liegenden und riß seinen Kopf hoch.
Einen Schrei des Entsetzens, aber auch der Erleichterung konnte ich nicht unterdrücken.
„Odo!“ rief ich und nahm seinen Kopf in beide Hände.
„Bist du es, Vater?“ murmelte er. „So lebe ich noch. Oder sind wir beide im Jenseits?“
„Du lebst!“
„Hole Wasser! Beeil dich! Ich komme um …“
Er machte eine Anstrengung, sich zu erheben, doch ich nötigte ihn, sich wieder hinzulegen. Auch er war über und über besudelt, doch war das in seinem Fall wohl die Rettung gewesen. Anscheinend hatte er die vergiftete Speise rechtzeitig von sich gegeben, zumindest das meiste davon, so daß das Gift nicht zur vollen Wirkung kam. Aber noch immer krümmte er sich unter Schmerzen, seine Lippen zitterten heftig, kalter Schweiß lief ihm die Wangen herab. Sein einziges Kleidungsstück, ein Lendentuch, war nur noch eine schmutzige Windel.
„Was ist mit dem Mädchen?“ keuchte er. „Lebt sie?“
„Sei ruhig!“ erwiderte ich. „Gleich bringe ich Wasser.“
Ich nahm die Lampe und betrat den Gang, der nach der Küche führte. An seinem Ende war es dunkel. Einen Augenblick zögerte ich und verhielt den Schritt. Der an die Kette gelegte Mörder mußte dort lauern, vielleicht erwartete er mich schon. Er hatte so viel Bewegungsfreiheit, daß er mich bei meinem Eintritt anfallen konnte. Da ich mich zum Hauptmahl verspätet hatte, war mir vielleicht ein Nachtisch zugedacht.
Schon packte mich Kleinmut, und am liebsten wäre ich umgekehrt. Doch woher Wasser für Odo nehmen? Wo würde ich hier einen Brunnen finden, noch dazu jetzt in der Nacht? Vielleicht wußten es unsere Leute … aber wo waren sie? Ich rief: „Heiko!“ „Rouhfaz!“ Doch ich erhielt keine Antwort. Vermutlich waren sie ausgegangen. Höchstwahrscheinlich sogar hatte Odo sie fortgeschickt, um mit Romilda allein zu bleiben. Verfluchter Leichtsinn!
Mit halben Schritten schob ich mich vorwärts. Kein Licht brannte vor mir in der Küche unter dem Dach des kleinen Nebengebäudes. Dort mußte der Koch in der Dunkelheit sitzen. Der Durchgang war fast zu schmal für meinen fülligen Leib. Irgend etwas blieb mir am Gürtel hängen, und gleich darauf fiel scheppernd Gerümpel zu Boden. Ich erschrak und blieb abermals stehen. Mein Herz schlug bis zum Halse hinauf. Noch drei Schritte hatte ich bis zu dem türlosen Eingang der Küche zurückzulegen. Ich streckte die Hand mit der Lampe vor, um in den Raum hineinzuleuchten.
Dem ersten Blick traute ich nicht. Ich schloß die Augen und riß sie gleich wieder auf. War das möglich? Der Pfeiler in der Mitte des Raums war verschwunden! Nur noch ein Stumpf ragte aus dem Boden, ein bis zwei Fuß hoch, mit groben Steinen ummauert.
Von dem Gefangenen war nichts mehr zu sehen. Der gerissene Schlingel hatte den Pfeiler, der ihn festhielt, abgesägt, die Kette an seinem Fuß aber, die er nicht loswerden konnte, mitgenommen.
Ich besah mir den Schaden aus der Nähe. Zwei Sägen fanden sich neben dem Stumpf. Eine Leiter war an den Mittelbalken des Dachstuhls gelehnt, in den das obere Ende des Pfeilers mit Hilfe von Bolzen fest eingelassen war. Da es zwei weitere Stützpfeiler gab, bedeutete die Entfernung des einen, der knapp unter dem Balken ein zweites Mal durchsägt wurde und dessen längstes Stück nun auf dem Fußboden lag, noch keine Einsturzgefahr. Fest stand, daß mehrere Männer mit Geschick und sicher in großer Eile diese Flucht bewerkstelligt hatten. Allerdings mußten sie dabei erheblichen Lärm gemacht haben. Wie hatten sie Odo getäuscht, der doch bei den ersten Anzeichen der Vergiftung wutschnaubend in die Küche gestürzt sein mußte, die Männer aber zu diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr vorfand?
Zum Glück war ein Trog mit frischem Wasser vorhanden, auf einem Wandbrett stand auch ein Säckchen mit Salzkörnern. Salzwasser soll, wie ich wußte, bei Vergiftungen für die innere Reinigung nützlich sein. So mischte ich einen Trunk, mit dem ich mich rasch zurück in die Halle begab. Noch war ich in dem schmalen Gang unterwegs, als ich jemand aufschreien hörte.
In der Tür zum Speisezimmer stand Sallustus und starrte erschrocken auf den Leichnam. Als er mich sah, fuhr er heftig herum. Vermutlich hatte er mir mißtrauisch nachgeblickt und war mir gefolgt, als er mich in das Haus des Bischofs eintreten sah.
Ohne ihn weiter zu beachten, eilte ich vorüber und kniete bei Odo nieder. Noch immer zuckte mein Freund unter Krämpfen. Ich hob seinen Kopf und setzte ihm den Krug an
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