Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Geld?“
Rouhfaz druckste ein bißchen herum, wobei sein Blick sich wie zufällig in eine leere Ecke des Raums verirrte. Auf einmal wurde mir klar, was ich gerade während des Hin- und Herwanderns dort vermißt hatte.
„Die Truhe!“ rief ich. „Wo ist die kleine Truhe mit dem Wergeld des Juden?“
„Das war ja die Anleihe“, sagte Rouhfaz. „Ihr könnt aber ganz beruhigt sein, Vater. Der Herr Marschalk hat alles quittiert.“
„Was quittiert?“
„Nun, den Empfang der neunhundert Solidi.“
„Neunhundert?“
„Ja, die Verwandten haben die restlichen hundertfünfzig auch noch gebracht. Ich mußte die Truhe wieder öffnen und dann nochmals versiegeln. Sie hat dort immer noch in der Ecke gestanden, bis der Herr Marschalk kam, um sie abzuholen.“
„Aber er war dazu nicht befugt!“
„Regt Euch doch nicht so auf, Vater. Glaubt mir, alles hat seine Ordnung. Der Herr Marschalk sagte … Ich war ja hier und habe alles gehört … Er sagte, da ja vom Bußgeld ein großer Teil in den Staatsschatz gehöre, könne er auf einem Feldzug nach Belieben darüber verfügen. Trotzdem wolle er eine Quittung geben. Das geschah dann auch unter den Augen Herrn Odos. Doch der Herr Marschalk steckte die Quittung gleich selber ein, um sie persönlich in der Pfalz dem Herrn Kämmerer zu überreichen. So, meinte er, würde die Sache auf dem kürzesten Wege erledigt.“
„Wahrhaftig, ein echter Roßtäuschertrick! Das sieht ihm ähnlich! Was heißt denn erledigt? Nichts ist erledigt! Wo ist der Jude?“
„Na, der ist frei. Er hatte ja das Wergeld bezahlt. Der Mord an dem Herrn Bischof ist abgebüßt.“
„Aber er hat ihn nicht begangen!“ schrie ich außer mir. „Der Jude Tobias ist unschuldig! Nicht einen Solidus hat er zu zahlen. Wir aber schulden ihm jetzt neunhundert. Die müssen zurückerstattet werden!“
„Das dürfte nun aber nicht mehr ganz leicht sein, Vater“, sagte Rouhfaz und seufzte. „Dazu müßte ja auch erst das Urteil aufgehoben werden. Aber ist denn das überhaupt möglich, jetzt noch, wo schon die ganze Strafe abgebüßt ist?“
„Natürlich! Natürlich ist es möglich! Alles ist möglich!“ Ich ereiferte mich, ich lief umher, ich schüttelte meine Fäuste. „Es muß Schluß gemacht werden mit dieser Leichtfertigkeit, dieser Willkür! Die Juden haben das Wergeld gebracht, weil sie ja doch nicht an die christliche Gerechtigkeit glauben. Weil sie nicht die geringste Hoffnung hatten, daß sich die Wahrheit noch durchsetzen würde. Sie haben ihren Mann losgekauft! Sie haben Lösegeld gezahlt, so wie sie es gewohnt sind, wenn kretische Seeräuber eines ihrer Schiffe kapern. Lösegeld, verstehst du, nicht Wergeld! Und wir, die königliche Justiz, haben die Stirn, es zu nehmen und davon ein Gelage zu veranstalten. Unterscheiden wir uns von kretischen Seeräubern? Was für Zustände!“
„Beruhigt Euch, Vater, beruhigt Euch doch!“ Rouhfaz schob mir einen Hocker hin und nötigte mich, darauf niederzusetzen. „Ihr habt keine Schuld, Ihr wart ja nicht hier. Und durch den Herrn Marschalk ist alles gedeckt. Wenn einer der sieben Mächtigen, die beim Herrn König im Rat sitzen, Geld braucht … wer wollte da ‚nein‘ sagen? Auch Herr Odo konnte es nicht, obwohl er wahrhaftig kein Feigling ist. Er hätte auch bestimmt nicht verraten, daß wir die Truhe besaßen. Aber der Comes hat es getan, aus Niedertracht. Und weil er sich sagte: Wenn der Herr Marschalk das Bußgeld an sich nimmt, war mein Urteil gerecht, und niemand kann daran noch etwas deuteln. Oder soll vielleicht der Herr König, in dessen Namen es genommen wurde, dem Juden Tobias sein Bußgeld zurückzahlen?“
„Dennoch ist der Tobias unschuldig.“
„Warum quält Ihr Euch, Vater? Hört auf damit. Was nützt es ihm noch, daß Ihr daran glaubt? Beweisen könnt Ihr es ja nicht.“
Er lächelte mich mitleidig an wie einen hoffnungslos Kranken.
„Doch“, sagte ich, „ich kann es beweisen. Es fehlt nur noch eine letzte Bestätigung!“
Odo kehrte erst am Abend des nächsten Tages zurück.
Mit Lärm und Gepränge zog er über das Alte Forum. Wohl an die fünfundzwanzig Reiter befanden sich in seiner Gesellschaft. Neben ihm ritt Fausta, und lachend und winkend grüßten beide die zusammenlaufende Menge.
Vor dem Haus saß er ab und half ihr vom Pferd. Die Kirchenglocken begannen zu läuten. Sie neigte sich zu ihm hin und raunte ihm etwas ins Ohr. Er nickte zustimmend und winkte ihr nach, während sie auf die Kirche zuschritt. Am
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