Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Vertrauensseligkeit, und zum Abschied mußte ich mehrmals mein Versprechen erneuern. Während der kurzen Zeitspanne, die wir noch in dem Kloster verbrachten, sah ich ihn immer wieder irgendwo auftauchen und mich ängstlich und mißtrauisch aus der Ferne beobachten. Zweifellos war er erleichtert, als wir endlich zum Tor hinausritten.
Da tat ich dann aber auf einmal so, als fiele mir noch etwas ein, und ich kehrte zum Bruder Pförtner zurück.
„Ich habe vorhin etwas vergessen“, sagte ich und griff in die Tasche. „Mit einer Fibel wie dieser pflegte der junge Herr Gogo seinen Mantel zu schließen. Kommt sie dir etwa bekannt vor?“
Der Pförtner verneinte schroff. Inzwischen wußte er wohl, wen er vor sich hatte.
„So eitles Zeug kümmert mich nicht“, fügte er hinzu. „Auf so etwas achte ich gar nicht, Bruder. Geh in Frieden! Der Herr behüte euch auf euern Wegen!“
Wir ritten davon. Unweit des Klosters, am Fuß eines Hügels, herrschte lebhaftes Marktgetriebe. Zwischen Zelten, Buden und Planwagen wimmelte es von Bauern, Händlern und allerlei Volk, das sich bei solchen Gelegenheiten versammelt.
„Versuchen wir es doch einmal dort, Vater“, sagte Heiko, dem ich in großen Zügen alles mitgeteilt hatte, was mir bekannt war, freilich ohne schon Schlußfolgerungen zu ziehen. „Gebt mir die Fibel! Ich werde sie unter den Leuten herumzeigen. Vielleicht erkennt sie jemand wieder!“
„Gut, aber laß sie dir ja nicht stehlen. Sie ist für uns wertvoll, nicht nur, weil sie aus Gold ist.“
„Verlaßt Euch auf mich. Ich werde behaupten, den Schmuck gefunden zu haben. Und daß ich ihn gern dem Edlen, der ihn verloren hat, zurückbringen wolle. Ich behalte die Fibel fest in der Hand, da sollte einer es wagen …“
„Nun, dann geh und versuch es!“
Hätte ich ihn nur zurückgehalten! Die Herkunft der Fibel war eigentlich ohne Bedeutung, denn es war ja nicht meines Amtes, mich um die Verbrechen des Corbus Ohnelippe zu kümmern. Was aber den Mörder des Straßenräubers betraf, der sich vielleicht im Besitz der zweiten, ganz ähnlichen Fibel befand, so war ohne Zweifel wenig Aussicht, daß das hier versammelte Volk ihn je mit diesem Schmuck zu Gesicht bekommen hatte. Indessen dämpfe ich ungern den Eifer unserer Gefolgsleute, wenn diese zu einer Untersuchung beitragen wollen, und so ließ ich Heiko gewähren. Ich selber blieb am Rande des Marktes, band die Tiere an einen Baum und setzte mich neben ihnen ins Gras. Den Lärm und das Treiben vor mir nahm ich kaum wahr, denn ich versank in Nachdenken und spann weiter an einem Netz, das mir schon recht solid und engmaschig, wenn auch noch nicht völlig reißfest zu sein schien.
Erst ein Getümmel, ein Schreien und Fluchen, das sich nicht weit von mir erhob, ließ mich aufmerken.
Da sah ich Heiko mitten in einem Haufen Volks und offenbar in Bedrängnis. Ein junger Kerl im Gewand eines Edlen stieß anklagend seinen Finger nach ihm und schrie sich die Lunge aus dem Leibe. Es wurden auch Fäuste geschüttelt, und ein paar Männer in groben Kitteln rückten vor und umringten unseren Sachsen bedrohlich. Nur mit dem blanken Schwert hielt er sie in respektvollem Abstand. Auch er schrie gegen den Lärm an, wie es schien, um sich zu verteidigen, doch konnte er sich kaum Gehör verschaffen.
Ich sprang auf die Beine, lief hin und drängte mich mitten hinein in den Haufen.
„Schlagt ihn tot! Bringt ihn um!“ rief der junge Edle. „Ich schwöre euch, daß er dabei war. Wie konnte er sonst zu der Fibel kommen? Ich erkenne sie wieder, glaubt mir, Leute! Sie gehörte dem edlen Gogo, meinem Gefolgsherren! Corbus Ohnelippe erschlug ihn – ihn und sechs andere von uns! Ich war der einzige, der entkommen konnte! Worauf wartet ihr noch? Bestraft den Hund! Macht ihn nieder! Er war bei Corbus, er gehört zu der Bande! Wollt ihr ihm etwa für seine Beutestücke noch Geld geben?“
„Hört mich an! So hört mich doch an! Ich … glaubt mir, ich …“
Vergebens suchte sich Heiko verständlich zu machen. Er beherrschte das Romanische schlecht, auf drei sprudelnde Sätze der Anklage antwortete er mit zwei trockenen Worten der Verteidigung, und das Gezisch seiner Klinge, die er hin- und hersausen ließ, sprach auch nicht gerade zu seinen Gunsten. Schon hatten sich viele Fäuste mit Knüppeln verstärkt. Die ersten Steine kamen geflogen. Es war höchste Zeit einzugreifen.
„In Gottes Namen, besinnt euch!“ rief ich, indem ich mich zwischen die Gegner warf. „Wollt ihr
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