Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Odysseus umschlang mit den Händen der Königin Kniee,
Und mit einmal zerfloß um ihn das heilige Dunkel.
Alle verstummten im Saale, da sie den Fremdling erblickten,
Und sahn staunend ihn an. Jetzt flehte der edle Odysseus:
O Arete, du Tochter des göttergleichen Rexenor,
Deinem Gemahle fleh ich und dir, ein bekümmerter Fremdling,
Und den Gästen umher! Euch allen schenken die Götter
Langes Leben und Heil, und jeder lasse den Kindern
Reichtum im Hause nach und die Würde, die ihm das Volk gab!
Aber erbarmet euch mein und sendet mich eilig zur Heimat,
Denn ich irre schon lang, entfernt von den Freunden, in Trübsal!
Also sprach er und setzt’ am Herd in die Asche sich nieder
Neben dem Feur; und alle verstummten umher und schwiegen.
Endlich brach die Stille der graue Held Echeneos,
Welcher der älteste war der hohen phaiakischen Fürsten,
An Beredsamkeit reich und geübt in der Kunde der Vorzeit.
Dieser erhub anitzo die Stimme der Weisheit und sagte:
König, es ziemet sich nicht und ist den Gebräuchen entgegen,
Einen Fremdling am Herd in der Asche sitzen zu lassen.
Diese Männer schweigen und harren deiner Befehle.
Auf und führe den Fremdling zum silberbeschlagenen Sessel,
Daß er bei uns sich setze, und laß die Herolde wieder
Füllen mit Weine den Kelch, damit wir dem Gotte des Donners
Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.
Und die Schaffnerin speise von ihrem Vorrat den Fremdling.
Als die heilige Macht Alkinoos’ solches vernommen,
Faßt’ er die Hand des tapfern, erfindungsreichen Odysseus,
Richtet’ ihn auf aus der Asch und führt’ ihn zum schimmernden Sessel,
Nahe bei sich, und hieß den edlen Laodamas aufstehn,
Seinen mutigen Sohn, den er am zärtlichsten liebte.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihm die Händ’ und stellte vor ihn die geglättete Tafel.
Auch die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus.
Aber die heilige Macht Alkinoos’ sprach zu dem Herold:
Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen
Männern im Saal umher, damit wir dem Gotte des Donners
Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.
Sprach’s, und Pontonoos mischte des süßen Weines im Kelche
Und verteilte von neuem, sich rechtshin wendend, die Becher.
Als sie des Trankes geopfert und nach Verlangen getrunken,
Hub Alkinoos an und sprach zur edlen Versammlung:
Merket auf, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.
Jetzo, nachdem ihr gespeist, geht heim und legt euch zur Ruhe.
Morgen wollen wir hier noch mehr der Ältesten laden
Und den Fremdling im Hause bewirten, mit heiligen Opfern
Uns die Götter versöhnen und dann die geforderte Heimfahrt
Überdenken, damit er, vor Not und Kummer gesichert,
Unter unserm Geleit in seiner Väter Gefilde
Freudig komme und bald, er wohn auch ferne von hinnen,
Und ihm nicht auf dem Weg ein neues Übel begegne,
Eh er sein Vaterland erreicht hat. Dort begegn’ ihm,
Was ihm das Schicksal bestimmt und die unerbittlichen Schwestern
Ihm bei seiner Geburt in den werdenden Faden gesponnen.
Aber kam vielleicht der Unsterblichen einer vom Himmel,
Wahrlich dann haben mit uns die Götter ein andres im Sinne!
Sonst erscheinen uns stets die Götter in sichtbarer Bildung,
Wann wir mit festlicher Pracht der Hekatomben sie grüßen,
Sitzen mit uns in Reihen und essen von unserem Mahle;
Oft auch, wann ihnen irgendein einsamer Wandrer begegnet,
Hüllen sie sich in Gestalt, denn wir sind ihnen so nahe
Wie die wilden Kyklopen und ungezähmten Giganten.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
O Alkinoos, hege nicht solche Gedanken! Ich sehe
Keinem Unsterblichen gleich, die den weiten Himmel bewohnen,
Weder an Kleidung noch Wuchs; ich gleiche sterblichen Menschen.
Kennt ihr einen, der euch der unglückseligste aller
Sterblichen scheint, ich bin ihm gleich zu achten an Elend!
Ja, ich wüßte vielleicht noch größere Leiden zu nennen,
Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat!
Aber erlaubt mir nun zu essen, wie sehr ich auch traure.
Denn nichts ist unbändiger als der zürnende Hunger,
Der mit tyrannischer Wut an sich die Menschen erinnert,
Selbst den leidenden Mann mit tief bekümmerter Seele.
Also bin ich von Herzen bekümmert, aber
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