Odyssey 01 - In die Dunkelheit

Palin die Angewohnheit, zu seltsamen Zeiten zu arbeiten. Deshalb weiß ich nicht, wie lange das noch gut geht. Jeder, der ihn kennt, sagt, dass er nicht richtig tickt.«
    »Stimmt, aber Genies haben es oft an sich, andere Leute zu reizen.« Weston zuckte die Achseln. »Zumindest wird exzentrisches Verhalten oft mit Genialität entschuldigt.«
    »Kann sein, Sir«, erwiderte Roberts. Er selbst hatte keine Lust, seine Zeit mit Leuten zu vergeuden, die innerhalb der militärischen Strukturen nicht angemessen funktionierten – ob Genies oder nicht.
    Er widmete sich wieder den Sensorenmeldungen, die immer noch hereinströmten, während Weston einen Schalter an seiner Armlehne bediente. »Doktor Rame, haben Sie einen Moment Zeit?«
    Rame meldete sich unverzüglich. »Ja, Captain, stehe zur Verfügung. Was kann ich für Sie tun?«
    »Wie geht’s der Patientin, Doktor?«
    »Ausgezeichnet, Sir. Sie hat gerade ein Glas Wasser und Zugang zum Unterhaltungsarchiv verlangt.«
    Weston zog die Augenbrauen hoch. »Palin hat wirklich großartige Arbeit geleistet. Welche Musik hört sie sich an?«
    »Seltsamerweise das Wiegenlied von Brahms. Scheint ihr gut zu tun, jedenfalls hat sie es sich gemütlich gemacht und ruht sich aus.«
    »Gut. Ich möchte bald mit ihr reden. Bitte sorgen Sie dafür, dass sie alles Nötige bekommt.«
    »Selbstverständlich, Sir.« Es war herauszuhören, dass Rame diese Anweisung fast als beleidigend empfand.
    »Und noch etwas, Doktor …« Weston zögerte.
    »Wir werden bald einen Sprung in ein anderes System machen.«
    Lange Pause. Schließlich seufzte der Arzt. »Ich kann nicht behaupten, dass ich mich darüber besonders freue, aber vielen Dank für die Vorwarnung. Ich werde dafür sorgen, dass mein Stab Beruhigungsmittel bereithält.«
    »Danke, Doktor.« Weston nickte. »Und stellen Sie auch sicher, dass sich jemand von ihrem Team in den Maschinenräumen bereithält, ja?«
    »Ja, klar. Ich bin nur dankbar dafür, dass mein Neuzugang jetzt schläft. Die Frau kann keinen weiteren Stress gebrauchen.«
    »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, Doktor. Ich würde es sogar befürworten, wenn Sie dem Luftgemisch der Patientin ein Sedativ beimengen – sofern Sie das für vertretbar halten. Ehrlich gesagt gefällt es mir gar nicht, wie unser ausgebildetes Personal auf den Sprung reagiert. Und jemand, der auf einen solchen Sprung in keiner Weise vorbereitet ist, könnte noch viel schlimmere Reaktionen zeigen. Das sollten wir möglichst vermeiden.«
    »Einverstanden«, erwiderte der Arzt nach kurzem Zögern. »Ich überprüfe ihren Gesundheitszustand nochmals, vor allem die lebenswichtigen Funktionen, und behalte mir dann vor, ihr etwas zu geben, das sie in noch tieferen Schlaf versetzt.«
    »Ausgezeichnet. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
    »Wir durchqueren gleich die Heliopause, Sir.«
    Weston nickte und nahm auf dem Kommandosessel Platz. »Danke, Daniels. Commander?«
    »Ja, Captain?«
    »Sagen Sie Winger, dass sie ihre Scans jetzt abschließen soll. Und bereiten Sie alle auf den kommenden Sprung vor.«
    »Wird erledigt, Sir«. Unverkennbar schwang starker Widerwille ins Roberts’ Stimme mit.
    Captain Weston tat das, was er stets vor einer riskanten Aufgabe getan hatte: Er verbarg jedes Anzeichen von Aufregung hinter einer Fassade der Gelassenheit, und hoffte nur, dass ihn keiner durchschaute. Wieso sollte er den Leuten, die dem Transitionsantrieb nicht trauten, auch noch das mulmige Gefühl geben, dass es ihrem Captain genauso ging? Zumal dieses Gefühl begründet war: Er misstraute dem Antrieb tatsächlich.
    Bis jetzt hatte Weston Glück gehabt: Niemand hatte etwas von seinen Bedenken bemerkt. Die Besatzung war zu sehr damit beschäftigt, die eigenen Ängste zu kaschieren.
    Also lächelte er und wirkte so entspannt, dass sich auch der Brückenstab entspannte – selbst noch, als die blauen Lämpchen aufleuchteten, die den Sprung ankündigten.
    Ach ja, wirklich toll, das Kommando zu haben.
    Die Vorwarnung dauerte zwanzig Minuten, so lange, bis alle Abteilungen ihre Bereitschaft gemeldet hatten. Danach gab Weston unter innerem Zögern den Start­befehl.
    »Transitionsantrieb aktivieren.«
    Jeder auf der Brücke zuckte zusammen, als Lieutenant Daniels den Befehl umsetzte. Dabei kniff er die Augen fest zu, und fast der gesamte Brückenstab, mit Ausnahme von Captain Weston und dem Commander, folgte seinem Beispiel.
    Beide bemerkten es und nahmen sich vor, mit der Brücken­besatzung darüber zu sprechen,