Ödland - Thriller
das Terrain zu erkunden. Er studiert den Stadtplan, den er im Flugzeug ausgedruckt und auf dem er Fullers Adresse eingetragen hat, nachdem er sie den Piloten mühsam aus den Rippen leiern musste. Das Haus liegt im Westen der Stadt, am Ende einer Sackgasse, die in die 2076th East Road mündet, in einem bewaldeten, von Weihern durchzogenen Gebiet, das an den Wakarusa grenzt. Es ist nicht sehr weit; er kann zu Fuß gehen, was ihm nach den vielen Stunden im Flugzeug sicher guttun wird.
Das Unwohlsein überfällt ihn, als er auf der 12th Street West am Park der Grundschule vorübergeht, deren Evergreen®-Rasen von Moderkraut zerfressen ist. Es ist ein seltsam diffuses Gefühl, anders als Migräne, eher wie ein starker Druck im Innern seines Schädels, der seine Bewegungen verlangsamt und seine Gedanken verwirrt. Rudy schiebt das Gefühl auf den langen Flug, die Müdigkeit, die Zeitverschiebung und möglicherweise die Plasmabarriere, deren rötlichen Schein er in der Ferne sehen kann und die mit Sicherheit für eine starke elektrostatische Aufladung der Atmosphäre sorgt.
Er biegt nach links in die Winchester Road ab, dann geht es rechts in die 1369th North Road. Die Häuser werden jetzt geräumiger und liegen in baumbestandenen, von Mauern oder Gittern umgebenen Parks, deren Einfahrten mit Alarmanlagen und Überwachungskameras gesichert sind. Das Nobelviertel der Stadt! Rudy kann kaum noch laufen. Der Druck in seinem Hinterkopf hat sich massiv verstärkt. Jeder Schritt kostet ihn unendliche Überwindung; einen Fuß vor den anderen zu setzen wird so anstrengend, dass er unwillkürlich Grimassen schneidet und in Schweiß gebadet ist ...
Als Rudy schließlich die 2076th East Road erreicht, hat er nur noch einen Wunsch: umzukehren und so schnell wie möglich zu verschwinden. Dabei wirkt die Umgebung alles andere als bedrohlich - im Gegenteil. In gepflegten Teichen dümpeln Boote, die an kleinen Stegen vertäut sind; Trauerweiden und Schilf wechseln sich mit majestätischen Baumriesen ab, makellose Rasenflächen werden von Blumenrabatten begrenzt, unter Zypressen und Eiben herrscht angenehmer Schatten, und in der Ferne brummt irgendwo ein Rasenmäher. Woher kommt bloß diese irrationale Angst, die ihm Herzklopfen verursacht und ihm die Haare zu Berge stehen lässt?
Erst als er unter Mühen in die Sackgasse abbiegt, in der das Haus der Fullers liegt - ihm ist, als wate er durch Leim oder kämpfe gegen einen Orkan an -, begreift Rudy plötzlich die Ursache seiner Not: Tony Junior! Das Monstrum weiß, dass er sich in Eudora aufhält, ahnt vielleicht auch seine Absichten und drängt ihn mit seiner geballten mentalen Kraft zurück.
Hi, hi, hi, klingt es in seinen Ohren oder vielleicht auch in seinem Kopf. Es hört sich an wie das Lachen einer Hyäne ... Plötzlich erinnert sich Rudy an die antike Maske, die ihm dabei half, Fuller zu hypnotisieren und zu entführen. Eine erschrockene Frage taucht in seiner erhitzten Fantasie auf: War das alles etwa geplant? Die Maske, die Entführung, die unerwartete Wendung in der Wüste - kann Tony Junior diese Dinge schon im Voraus ersonnen haben? Hat er Rudy, Abou und Hadé von Anfang an manipuliert? In diesem Fall wäre der geklonte Junge deutlich stärker, als sie vermutet haben, und Rudy hätte nicht die geringste Chance gegen ihn.
Verschwinde, du Affe, hört er oder glaubt es zu hören. Mit zusammengebissenen Zähnen, geballten Fäusten und vor Anstrengung und Panik verzerrtem Gesicht gelingt es Rudy, noch ein paar Meter weiterzugehen. Er sieht ein großes Tor, mit dem das Ende der Sackgasse versperrt ist. Jenseits davon erkennt er durch Schweiß und Tränen hindurch ein weißes, unter Bäumen gelegenes, kreuzförmig erbautes Haus, dessen Freitreppe von Säulen gesäumt ist ... Der Druck in Rudys Gehirn wird so stark, als wäre er mindestens tausend Meter tief im Meer getaucht. Seine Nase blutet, und seine Ohren dröhnen ... Er kann nicht mehr! Hastig dreht er sich um und rennt wie von Teufeln gejagt davon. Eine unsichtbare, starke Hand scheint ihn vorwärtszudrücken.
Als Rudy das Hotel erreicht, ist er zwar außer Atem, doch sonst geht es ihm wieder gut. Er lässt sich auf das Bett sinken und erholt sich kurz, ehe er wieder aufsteht und nach dem Mobiltelefon greift, das er im Flugzeug gefunden hat und das wahrscheinlich Fuller gehört. Er wählt Lauries Nummer. Es dauert lange, ehe sie abhebt.
»Laurie? Hier ist Rudy ... Ach, habe ich dich geweckt? Das tut mir leid.« Er schaut auf
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