Öffne deine Seele (German Edition)
verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. «Na dann, willkommen zu Hause.»
«Danke.» Nicht ein Funke Belustigung war in Albrechts Stimme.
Euler zuckte andeutungsweise die Schultern und pustete eine seiner dünnen, aschblonden Haarsträhnen aus der Stirn. «Es wird ohnehin nicht ganz einfach werden», erklärte er. «Kaum geeignete Oberflächen hier, an denen wir Proben nehmen könnten. Höchstens die Seerosenblätter.»
«Aber von Fremdverschulden gehen Sie aus?»
Der Hauptkommissar hatte sich abgewandt und betrachtete das Bassin, über dem nun die Scheinwerfer des Einsatzteams zum Leben erwachten und die Szenerie mit einer plötzlichen Brutalität ausleuchteten, dass ich Mühe hatte, nicht automatisch einen Schritt zurückzustolpern.
Die wenigsten Toten liegen im hellen Tageslicht auf dem Präsentierteller, wenn wir ihnen zum ersten Mal gegenüberstehen. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob das vielleicht mit einem tief verwurzelten Tabu zusammenhängt, das die Täter noch nicht vollständig verlassen hat. Selbst wenn ein Täter sich keine große Mühe gibt, seine Tat zu vertuschen, stellen wir doch immer wieder fest, dass der Körper des Opfers in einem geschützten Winkel zurückgelassen, vielleicht sogar eine Decke über den Leichnam geworfen wird.
Solange die Opfer im Schatten liegen, ist ihr Zustand auf eine schwer zu beschreibende Weise unbestimmt .
In dem Moment aber, in dem Martin Euler und seine Männer den Knopf drücken, fühlt es sich an, als hätten wir sie ein zweites Mal getötet.
Der Gerichtsmediziner hatte Albrechts Frage nicht beantwortet. Er ließ den Hauptkommissar selbst seine Schlüsse ziehen.
Im grellen Licht der Leuchtbatterie hatte das Bild sich vollkommen verändert. Es war nicht länger ein Gesicht, das an der Oberfläche zu treiben schien. Das Wasser war nicht gerade glasklar. Trotzdem waren die Umrisse des Körpers zwischen den Seerosen deutlich auszumachen.
Der Tote war vollständig bekleidet, trug Jeans, T-Shirt und Oberhemd.
Schwere Stricke waren um seinen Körper geschnürt, die Arme seitlich an den Leib gebunden, die Beine von der Hüfte bis zu den Waden aneinandergefesselt.
«Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, dass einige der Pflanzen abgeknickt sind», sagte Euler leise, und seine Stimme klang jetzt heiser. «Das kann passiert sein, als der Körper im Becken platziert wurde oder aber als er versucht hat, sich trotz der Fesselung über Wasser …»
«Er ist ertrunken?»
Der Gerichtsmediziner schüttelte den Kopf. «Dazu sage ich nichts, bevor wir die Leiche nicht geborgen haben. Wir werden jetzt noch einige Aufnahmen machen, dann können wir ihn mitnehmen. Falls Sie nicht noch …»
«Machen Sie das», sagte Albrecht und betrachtete den leblosen Körper. «Haben wir schon Hinweise auf seine Identität? Vermisstenmeldungen?»
Ich blinzelte.
Martin Euler starrte ihn an. «Was … Lesen Sie keine … Haben Sie keinen Fernseher?»
Albrecht kniff die Augen zusammen und betrachtete noch einmal den Leichnam. Dann uns.
«Mein Fernseher steht in Ohlstedt», bemerkte er ruhig. «Falls er noch existiert.»
Ich schluckte. Wie lange war es her, dass seine Joanna ihn gegen den Zahnarzt ausgetauscht hatte?
Das würde eine lange Geschichte werden.
***
«Falk Sieverstedt», murmelte Jörg Albrecht.
Stahl sich ein verdächtiger Ton in seine Stimme? Wenn das so war, schien Friedrichs ihn nicht zu bemerken.
Zu konzentriert war sie auf ihre Erläuterungen, während sie den Dienstwagen raus nach Blankenese steuerte, zur Stadtvilla der Familie Sieverstedt.
Die Angehörigen mussten informiert werden.
Das Licht der Scheinwerfer spiegelte sich auf dem Metall am Straßenrand parkender Fahrzeuge. Ausschnitte dunklen Asphalts wurden für Augenblicke aus der Nacht geschnitten.
«Ich bin jetzt auch keine Expertin für diese Society-Geschichten …», erklärte die Kommissarin beinahe entschuldigend.
Albrecht quittierte die Aussage mit einem stummen Nicken.
Die Aussage, vor allem aber die gehobene Stimme am Ende.
Expertin oder nicht, oder … Mit Daumen und Zeigefinger strich er sich über die Nasenwurzel. Nein, gerade wenn sie keine Expertin war, wollte er hören, was Hannah Friedrichs über die Sieverstedts zu erzählen wusste.
«Na ja.» Die Kommissarin holte Luft. «Natürlich kriegt man trotzdem was mit. Seine Frauengeschichten zum Beispiel. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn wir ihn irgendwann mal als Opfer vor die Nase bekommen hätten, aber …
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