Öffne deine Seele (German Edition)
verehrt?»
Albrechts Blick wanderte zum Monitor, dann zurück zu Winterfeldt.
Verehrt? Was Besonderes?
«Weitermachen!», brummte er.
Marius’ rechte Hand, die für die Dauer des Intermezzos zehn Zentimeter über der Tischplatte geschwebt hatte, legte sich wieder auf der linken ab.
«Ich stelle gerade fest, dass wir bereits einen Anrufer haben», erklärte er. «Der Glückliche meldet sich aus … Hamburg. So viel will ich verraten. Der Glückliche – Felix .» Ein wohldosierter Hauch von Belustigung. «So werde ich dich nennen, mein Freund: Felix.»
Jörg Albrecht erlaubte sich Zweifel, ob das Gros der Fernsehzuschauer das Wortspiel nachvollziehen konnte. Felix , das lateinische Adjektiv. Felix, der Glückliche.
Entscheidend war, dass der Mann hinter dem Tisch wieder etwas Bedeutsames gesagt hatte.
«Guten Abend, Felix.» Die Worte klangen warm und einladend. Marius’ Haltung veränderte sich um eine Winzigkeit, als wollte er sich für einen Plausch bequem in seinem Stuhl zurücklehnen. Doch so stark war die Veränderung nicht. Auch diese Geste war berechnet: Sie sollte den Eindruck vermitteln, dass er ganz genau zuhörte, sich auf den Anrufer einstellte.
«Wie geht es dir, Felix?»
«Ich bin durch?» Eine unsichere Stimme, angespannt, leicht blechern außerdem, über die Telefonverbindung. «Ich bin wirklich durch?»
Aus dem Augenwinkel sah Albrecht, wie Hannah Friedrichs sich ruckartig vorbeugte. Auch Faber, glaubte er zu erkennen, riss überrascht die Augen auf, und Seydlbacher ging abrupt dazu über, anstelle der rechten die linke Schnurrbartspitze zu zwirbeln, was ebenfalls als Ausdruck der Verblüffung zu werten war.
Sie erkannten die Stimme wieder!
Falk Sieverstedt.
Albrecht lauschte den Worten nach, suchte nach Ähnlichkeiten, nach einem Echo von Elisabeths Intonation oder der des Konsuls.
Doch das war nicht möglich. Keiner der beiden hätte jemals in diesem Ton gesprochen.
«Ich …» Die Stimme kippte. «Ich kann’s einfach nicht fassen.»
«Oh doch, mein Freund. Wir sprechen miteinander. Ich bin ganz …» Diesmal wurden beide Hände gehoben, doch wieder nur Zentimeter über das dunkle Tuch, das die Tischplatte bedeckte, bevor sie sich wieder übereinanderlegten. «… für dich da. Aber denk daran, dass da noch andere Freunde sind, die Hilfe brauchen und die auf mich warten. Sag mir, Felix: Was kann ich für dich tun?»
Für wen hielt sich der Kerl? Jesus? Albrecht schüttelte finster den Kopf. Eher Bhagwan.
Verehrt. Etwas Besonderes.
Allmählich begann er zu begreifen.
Unauffällig musterte er seine Mitarbeiter, die von der Szene auf der Leinwand völlig fasziniert schienen. Lehmann hatte lauschend die Augen geschlossen, Friedrichs sah aufmerksam hin, doch auch bei ihr war unübersehbar, dass Marius’ Darbietung ihre Wirkung nicht verfehlte.
Wenigstens bei Hinnerk Hansen und bei Matthiesen glaubte er eine gewisse hanseatische Zurückhaltung zu erkennen.
«Marius!» Falk Sieverstedt flüsterte den Namen beinahe. «Marius, ich weiß nicht mehr weiter.»
Die Hände mit den langgliedrigen Fingern hatten bedächtig das Notizbuch gegriffen und es aufgeblättert. Jetzt falteten sie sich abwartend ineinander. Eine Geste der Nachdenklichkeit, aber gleichzeitig die Geste eines Menschen, der anzeigt, dass er die Situation im Griff hat. Auf eine ganz selbstverständliche Weise besitzt er alles Wissen, um demjenigen, der seinen Rat sucht, den richtigen Weg aufzuzeigen.
«Es ist dein Leben, mein Freund. Was immer dich belastet: Die Antwort kann einzig aus dir kommen. Aus dir allein.»
Albrecht hob die Augenbrauen.
«Bemerkenswert», murmelte er.
Und umso manipulativer.
«Ich weiß, dass du das zu allen sagst, Marius.» Ein Schniefen. Das Rascheln eines Papiertaschentuchs. «Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie es hier bei mir ist. Sie kennen mich nicht. Keiner von ihnen weiß, wie ich wirklich bin. Keiner von ihnen interessiert sich …»
«Von ihnen?» Ganz ruhig.
«Von meiner Familie.» Leiser. «Von meinen Eltern.»
«Hast du denn einmal versucht, es ihnen zu sagen? Ihnen zu erzählen, wie du wirklich bist?»
Schweigen, dann: «Ja.» Ein schwerer Atemzug. «Nein. Ich habe versucht, bei meiner Mutter … Aber ich weiß nicht, ob sie mir … Ob sie mir überhaupt zugehört hat. Wirklich richtig zugehört.»
«Hmm.» Kein zweifelndes Hmm , dachte Albrecht. Kein Hmm , das die Aussage des jungen Mannes irgendwie in Zweifel ziehen und den Anrufer gegen Marius
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