Öffne deine Seele (German Edition)
durch. Aber mein Ehemann konnte schließlich auch von zu Hause aus arbeiten, wenn nicht gerade ein Kundengespräch für die Makleragentur anstand. Wenn ich mich Stunden verspätete, hatte er in unserem Haus in Seevetal sogar mehr Ruhe als im Büro.
Doch das konnte mein schlechtes Gewissen auch nicht beruhigen.
Und von dem hatte ich jede Menge an diesem Aprilabend, ungefähr zwei Monate vor Falk Sieverstedts Tod, als ich es tatsächlich mal ein, zwei Stunden früher nach Hause geschafft hatte.
Ich kann mich ganz genau erinnern: wie ich die Haustür öffnete, sie mit dem Hintern wieder zuschob. Wenn Dennis mit seinen Akten am Küchentisch saß wie üblich, musste er mich im selben Moment bemerkt haben, in dem ich in die Auffahrt einbog.
Mit einem Seufzen ließ ich den Mantel von den Schultern gleiten, murmelte ein «Hallo, Schatz» in Richtung Küche und …
Die Küche war leer.
Stirnrunzelnd drehte ich mich um. Ich hörte …
«Das habe ich überhaupt nicht gesagt!»
Dennis. Und er klang … Nein, wütend war zu viel. Doch offenbar war er der Meinung, dass ihn jemand nicht richtig verstanden hatte.
Die Stimme kam aus dem Wohnzimmer. Aber mit wem sprach er? In der Auffahrt hatte nur sein Toyota gestanden. Telefonierte er?
«Richtig.»
Ich hob die Augenbrauen.
Eine zweite Stimme, eine Männerstimme. Kannte ich sie irgendwoher? Nein, ich konnte sie nicht einordnen. Eine recht tiefe Stimme, freundlich, aber doch sehr bestimmt.
«Richtig, mein Freund Parsifal. Du hast gesagt, dass du dir besser nicht vorstellen willst, was sie in Wahrheit tut, wenn sie so spät nach Hause kommt. Wenn diese Vorstellung aber so beängstigend ist, dass du sie unter allen Umständen vermeiden willst, muss es eine ziemlich konkrete Vorstellung sein.»
«Du weißt genau, was es für eine Vorstellung ist.»
Das war wieder Dennis, und wie er sich anhörte, hatte er sich den Jack Daniel’s aus dem Barschrank geholt.
«Dann sprich sie aus, mein Freund! Es wird nicht besser werden, solange du sie verleugnest.»
«Ach?» Mein Ehemann klang jetzt ätzend. «Und wenn ich mir live und in Farbe vorstelle, wie sie es wieder tun, geht’s mir gleich viel besser? Wenn ich mir vorstelle, wie meine Frau in irgendeinem Stundenhotel diesen Lackaffen vögelt, obwohl sie mir versprochen hat …»
Ich schlug die Hand vor den Mund und zwang das Keuchen mit Gewalt zurück in die Kehle.
Dennis wusste von meinem Sündenfall. Wusste, was passiert war zwischen mir und Joachim Merz. Joachim Merz, dem Staranwalt, der, nein, keinen schwachen Moment ausgenutzt hatte.
Ich hatte es gewollt. Und ich hatte jede Minute genossen.
Schließlich war ich zu diesem Zeitpunkt, letzten Herbst, fest davon überzeugt gewesen, dass auch Dennis nebenbei was laufen hatte.
Kindisch – aber eben doch die Wahrheit.
Doch wie mein Ehemann soeben vollkommen richtig formuliert hatte, hatte ich ihm versprochen, dass die Sache mit Merz eine einmalige Sache bleiben würde. Oder eine zwei- oder dreimalige Sache, wenn ich alles zusammenzählte, aber auf jeden Fall war sie aus und vorbei.
Zumindest was Merz und mich betraf.
Doch für Dennis?
In diesem Moment wusste ich, wem die andere Stimme gehörte.
Und dass dieser Jemand nicht in unserem Wohnzimmer saß, sondern irgendwo in einem Fernsehstudio von Kanal Sieben.
Marius.
«Wie willst du erwarten, dass es wieder besser wird, wenn du dich nicht einmal der objektiven Wahrheit öffnen kannst, mein Freund?»
Diese mitfühlende, warme Stimme. Natürlich kannte ich Second Chance . Dennis und ich waren mehr als einmal beim Durchzappen dort hängen geblieben.
«Objektive Wahrheit?» Dennis hob die Stimme. «Ich habe nicht die Spur einer Ahnung, wo sie in diesem Moment …»
«Die objektive Wahrheit in deinem Kopf, mein Freund. Das ist der einzige Ort, auf den es ankommt. Wie willst du ihr je wieder vertrauen, wenn du nicht einmal die Vorstellung zulassen kannst, die sich dir so sehr aufdrängt? Dir vorzustellen, wie sie auf dem Rücksitz seines Sportwagens wie zwei Tiere …»
Ich stolperte zurück und wich im letzten Moment der Glasvitrine mit Dennis’ Anglerpokalen aus.
Mit Mühe und Not schaffte ich es nach draußen, so leise wie möglich.
Ich brauchte zwanzig Minuten und ein halbes Dutzend Runden um den Block, bis sich mein Atem und mein Herzschlag so weit beruhigt hatten, dass ich zum zweiten Mal an diesem Abend auf die Einfahrt biegen, die Autotür geräuschvoll ins Schloss pfeffern konnte und so vernehmlich wie
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