Öffne deine Seele (German Edition)
bin.»
Er biss die Zähne zusammen.
Sie war grausam. Vorsätzlich grausam. Sie wusste, dass sie ihm das Messer in den Bauch rammte – und es noch einmal langsam umdrehte.
Doch hatte sie nicht jedes Recht dazu, grausam zu sein?
Sie standen einander gegenüber, Falks Leichnam zwischen ihnen.
Noch etwas zwischen uns, dachte Albrecht.
Plötzlich erklang ein greller, schriller Laut.
Diesmal war es sein Handy, in der Brusttasche seiner Anzugjacke.
Ein Geräusch, das Tote hätte aufwecken können.
Hastig griff Albrecht nach dem Telefon und sah, dass die Nummer des Reviers angezeigt wurde.
Er wollte nicht hinaus auf den Flur gehen, sich neben Friedrich Sieverstedt stellen. Nicht in diesem Moment. Nicht um alles in der Welt.
Er trat ans Fenster.
«Ja?», murmelte er.
«Hauptkommissar?» Es war Faber. «Tut mir leid, dass ich störe, aber …»
Wenn Sie’s schon tun, dachte Albrecht, erzählen Sie mir wenigstens, warum.
«Die Presse weiß Bescheid», sagte der Hauptkommissar laut. Oder eher gedämpft.
Er spürte die Blicke der Konsulin in seinem Rücken.
Seit wann , hatte er gefragt. Und: Er tut es wieder?
Aus welchem Grund sollte er annehmen, dass es jemals aufgehört hatte? Hatte er irgendetwas unternommen, damit es aufhörte?
Aber was hätte ich tun sollen?
Jörg Albrecht schüttelte sich.
Er wusste noch nicht, wie, aber auf irgendeine Weise würde er lernen, damit zu leben, dass ihm ein Feigling aus dem Badezimmerspiegel entgegensah.
Aber kein Dummkopf.
Er war der Leiter des Kommissariats Königstraße, seit bald einem Vierteljahrhundert – und seit circa elf Stunden wieder.
Er hätte damals Schritte unternehmen können, selbst wenn es inoffizielle und somit gefährliche Schritte gewesen wären. Und wenn er Heiner Schultz eingeschaltet hätte! Jörg Albrecht war niemals mit einem so privaten Wunsch an den ehemaligen Ersten Bürgermeister der Hansestadt herangetreten, doch er wusste, welche Kontakte und Möglichkeiten Schultz hatte.
Ja, womöglich hätte dieser Wunsch ihre Freundschaft beendet.
Doch Schultz hätte sich nicht verweigert.
Aber Jörg Albrecht hatte es nicht getan. Weil er zu feige gewesen war oder zu gedankenlos oder beides oder …
«Hauptkommissar?»
«Faber», murmelte er.
Und er machte es noch schlimmer, indem er über seinen Selbstgeißelungen seinen Fall vernachlässigte!
Alles, was er noch tun konnte für Elisabeth Sieverstedt, war, den Täter zu stellen, der ihr ihren Sohn weggenommen hatte. Falk. Den Grund, aus dem sie diese Hölle fünfzehn Jahre lang durchgestanden hatte.
«Bitte wiederholen Sie noch einmal, was Sie gesagt haben», sprach er ins Telefon.
«Alles?»
«Alles. Die Presse weiß Bescheid und …?»
Ein Räuspern. «Wenn’s nur das wäre, Hauptkommissar. Sie wissen ja, letzte Woche sind die Schulferien losgegangen, und anscheinend gibt’s kaum richtige Storys im Moment. Die stürzen sich auf die Sache wie …»
Albrecht holte Luft.
«Wie wir das erwartet haben», sagte er. «Doch zumindest sind wir diesmal vorbereitet. Und wir werden bei dieser Ermittlung die Hilfe der Öffentlichkeit brauchen. Allein schon, um den Wagen sicherzustellen.»
Er schüttelte den Kopf. Er konnte nicht offen mit Faber sprechen. Nicht einmal konzentriert konnte er sprechen.
Nicht, wenn sich Elisabeth Sieverstedt im selben Raum aufhielt.
«Ich habe jetzt noch einen Termin mit Euler», erklärte er. «Winterfeldt soll im Auge behalten, was die Journaille berichtet. Wir sehen uns um fünfzehn Uhr.»
In seinem Rücken hörte er das Geräusch der Bürotür, die sich öffnete.
Euler oder der Konsul, aber das war gleichgültig im Moment.
Das Gespräch mit den Sieverstedts fortsetzen?
Unmerklich schüttelte Albrecht den Kopf.
Nein, auch das nicht. Nicht in diesem Moment. Nicht in diesem Raum.
War es Feigheit, auch diesmal wieder?
Nein, dachte Jörg Albrecht.
Es war etwas anderes. Sein jahrelanges Versagen konnte er nicht ungeschehen machen, doch wenn er dieser Ermittlung gerecht werden wollte und damit Elisabeth und ihrem toten Sohn, blieb ihm keine Wahl.
Abstand. Einige Schritte zurücktreten und das Bild von außen, mit den Augen eines Fremden, betrachten. Mit aller Distanz, zu der er fähig sein würde, sobald es ihm gelungen war, Struktur in das Chaos in seinem Kopf zu bringen, in das sich die Ermittlung verwandelte, kaum dass sie begonnen hatte.
***
«Meine Mutter hat ihn nicht wirklich gekannt.»
Das Mädchen sah zu Boden.
Wir waren rauf in Yvettes
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