Öffne deine Seele (German Edition)
ein.
Doch er hörte auch die Reaktionen aus der Menge, den zaghaften Beifall.
Er biss die Zähne zusammen.
Die Menschen suchten einen Sündenbock.
Doch so wenig sympathisch ihm das Gelichter auch sein mochte, das sich nachts im Volkspark herumtrieb, so sicher war er sich, dass sie den Täter nicht in dieser Richtung zu suchen hatten.
Doch wenn nicht dort …
Wo dann?
***
Natürlich war Richtung Süden alles dicht gewesen.
Hatte ich ernsthaft etwas anderes erwartet?
Zur Ausstattung in meinem Nissan, den Dennis und ich vor ein paar Jahren aus zweiter Hand gekauft hatten, gehörte ein Außenthermometer.
Für eine Klimaanlage wäre ich dankbarer gewesen.
Siebenundzwanzig Grad: traumhaft, wenn man gerade unterwegs war zum Baggersee. Heute Abend war es die Hölle.
Auf der Stader Straße wälzte sich der Feierabendverkehr stadtauswärts, in der Gegenrichtung ebenso.
Einer der Augenblicke, in denen man sämtliche Pendler verfluchte, ganz gleich, ob man normalerweise selbst einer war.
Von zu Hause aus arbeiten wie Marius, in welchem Job war das schon möglich?
Marius.
Eine Stunde im Stau. Eine Stunde Zeit zum Nachdenken. Mir war klargeworden, dass es ein Fehler war, wenn ich das Gespräch mit Marius führte.
Denn worin bestand seine Show? Was war seine besondere Fähigkeit, die Second Chance seit Jahren zum Kult machte?
Aus irgendeinem Grund gaben seine Anrufer regelmäßig sehr viel mehr von sich preis, als sie eigentlich hatten verraten wollen.
Als wenn er ihnen fernmündlich in die Köpfe gucken konnte.
Und mich würde der Mann nicht nur zu hören, sondern obendrein zu sehen bekommen. Musste er nicht todsicher eins und eins zusammenzählen?
Ich biss mir auf die Lippen, so fest, dass es weh tat.
Blödsinn! Der Mann bekam mindestens ein Dutzend Anrufe am Abend, montags bis donnerstags. Selbst wenn er sich an Dennis erinnern sollte – wie um alles in der Welt sollte er seinen ominösen Freund Parsifal und mich irgendwie zusammenbringen? Schließlich waren keine echten Namen gefallen. Das gehörte zu den Bedingungen bei Second Chance . Wenn einer der Anrufer von selbst mit einem Namen kam, beendete Marius das Gespräch auf der Stelle.
Kein Dennis, keine Hannah. Kein Joachim Merz.
Wobei ich nicht genau wusste, wie sehr Dennis ins Detail gegangen war. Ich hatte ja nicht mehr als ein paar Sätze mitbekommen.
Mein Ehemann hatte zwar das Talent, sich in entscheidenden Situationen unglaublich dämlich anzustellen – ein vollständiger Idiot war er damit aber noch nicht.
Sie hatte was mit so einem aalglatten Schönling, der ständig in den Talkshows sitzt und jede zweite Woche in der Presse steht, weil er irgendeinen Prominenten aus dem Knast gepaukt hat.
Dann hätte er auch gleich sagen können: Sie hatte was mit Joachim Merz.
Nein. Keine Chance für Mister Second Chance, solange ich es mir verkniff, ihm aus eigenem Antrieb meine Seele zu öffnen.
Und das war ganz eindeutig nicht der Grund für meinen bevorstehenden Überraschungsbesuch.
Wenn er nur schon vorbei wäre.
Ehestorfer Heuweg. Endlich die Abzweigung nach links, an die ich mich undeutlich erinnerte.
Ich atmete auf. Von jetzt auf gleich war auf beiden Seiten schattiger Wald. Schon sah ich rechts eine Ausflugsgaststätte. Der Heuweg war in Wahrheit natürlich eine asphaltierte Straße, doch für Hamburger Verhältnisse trotzdem mehr als ungewöhnlich. Beinahe serpentinenartig wand sich die Straße in die Harburger Schwarzen Berge empor, ein Naherholungsgebiet am Südrand der Hansestadt.
Mit einem Mal waren nur noch wenige Fahrzeuge unterwegs, die meisten von ihnen in dieselbe Richtung wie ich. Berufstätige auf dem Weg nach Hause.
Hausnummer 92 hatte mir die Dame von Kanal Sieben in den Notizblock diktiert. Davon war ich noch ein ganzes Stück entfernt, doch schon die Häuser, die ich jetzt zu beiden Seiten der Straße sah, wären heiße Kandidaten für Dennis und seine Agentur gewesen.
So viel war schon mal klar: Der nachnamenlose Marius wohnte im Nobelviertel.
Nun wieder Wald zu beiden Seiten, dann von neuem Hausgrundstücke, jetzt allerdings nur noch auf der Rechten, an den Hang geschmiegt. Links begann die Wildnis der Schwarzen Berge – eine grüne Wildnis, dem Namen zum Trotz.
Hausnummern in den Sechzigern, den Siebzigern. Rechts eine Waldorfschule.
Ein alternatives Nobelviertel.
Öffne deine Seele, dachte ich.
Wieder Wald rechts und links. Auf der rechten Seite gepflasterte Einfahrten, die Gebäude selbst blieben
Weitere Kostenlose Bücher