Öffne deine Seele (German Edition)
Schweigen. Drei Sekunden lang. «Aber was denkst, wieso na hod der grad mi gfrogt?»
«Na ja …» Sei vorsichtig, dachte ich. Seydlbacher war ein netter Kerl, wenn man mal verstand, was er redete, doch anscheinend waren schon Albrechts Anweisungen anders bei ihm angekommen als beabsichtigt. «Na ja, du weißt doch», sagte ich. «Wenn Nils sich richtig auf was einlässt, ist der manchmal so schnell nicht wieder zu bremsen. Der Chef wird sich einfach gedacht haben, dass es besser ist, wenn er einen älteren und erfahrenen Beamten an der Seite hat.»
«Ach so.» Intensives Nachdenken. «Und wos soi i na oziang?»
«Was du anziehen sollst?», riet ich.
«Was für a Gwand?» Ein verdeutlichendes Zupfen an seinem Lodenjanker.
Ich schluckte. Eine berechtigte Frage. Sicher, im Volkspark würde es dunkel sein, wenn die beiden ihre verdeckte Ermittlung aufnahmen. Aber selbst unter dem bunten Völkchen dort würde Seydlbacher in seiner Alltagsgarderobe auffallen wie ein Zirkuspferd.
«Was zieht Nils Lehmann denn an?», fragte ich. «Hast du den mal gefragt?»
«Naaaa.» Ein nachdrückliches Nein. Blick zu Boden. «Da bin i z’ gschamig.»
Da war er was ? Egal.
«Schau einfach, ob du irgendwas richtig Modernes hast», schlug ich vor. «Oder einfach was Schwarzes, das ist nie falsch. Oder Leder zum Beispiel.» Oder eine Uniform, dachte ich, doch es war besser, Seydlbacher gar nicht erst auf Ideen zu bringen. Ich hob die Schultern. «Such dir was aus. Da gibt’s ganz unterschiedliche Typen.»
«Hmm.» Er ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. «Doch, des dad geh. Dangschö, Hannah! Merci!»
Aufmunternd lächelte ich ihm zu. «Das schafft ihr beiden schon», sagte ich so überzeugend wie möglich.
Zumindest würde es dunkel sein. Richtig, richtig dunkel.
Ich sah auf die Uhr.
Wenn die Straßen stadtauswärts nicht wieder einmal dicht waren, sollte ich lange vor Sendebeginn am Rande von Hausbruch eintreffen.
Zeit genug für einen kleinen Plausch, bevor der Herr der Second Chance sich hübsch machen musste für seine Reise durch die Nacht.
Perfekt.
***
Die Villa glich einer belagerten Festung.
Jörg Albrecht hatte den Dienstwagen hundertfünfzig Meter vor der Einfahrt des Sieverstedt-Anwesens abgestellt.
Näher dran war alles verstopft mit Fernsehteams und ihren Übertragungswagen. Ganz zu schweigen von dem speziellen Menschenschlag, der sich zuverlässig einstellte, wenn die Schlagzeilen Drama! oder Tragödie! nur in ausreichend großen Lettern über die Fernsehschirme flimmerten.
Unmittelbar vor der Einfahrt zu dem umfriedeten Gelände standen zwei Peterwagen, die Faber auf Albrechts Geheiß hierherbeordert hatte. Aus der Ferne konnte der Hauptkommissar beobachten, wie die Mannschaft sich nach Kräften bemühte, das absolute Chaos zu verhindern.
Er schlug die Autotür zu, zögerte aber einen Moment, bevor er die Finger zurückzog und seine Anzugjacke offen ließ.
Ganz salopp, dachte er. So unauffällig wie möglich. Natürlich hätte er den Wagen schnurstracks in die Zufahrt lenken können. Sein Name hätte ausgereicht, nicht anders als heute Nacht. Und wenn nicht sein Name, dann sein Dienstausweis.
Doch er durfte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen.
Falk Sieverstedt war tot. Eine der ältesten Familien der Hansestadt hatte ihren Sohn verloren.
Wie die Eltern des Jungen reagiert hatten, hatte er gesehen. Zumindest das, was der Konsul ihm zu zeigen beliebte.
Auch die Wahrheit, die man den Menschen in der Hansestadt präsentierte, hatte er auf der Leinwand verfolgen können. Doch was dachten die Menschen selbst?
Von seiner Position aus konnte Albrecht die Menge aus Gaffern, Journalisten und technischem Gerät einigermaßen überblicken.
Seine Augen zogen sich zusammen, als er ein Gesicht entdeckte, das er heute schon einmal gesehen hatte.
Ein Pulk von Neugierigen drängte sich um Sina Dewies, die mit dem Rücken zum übermannshohen Metallzaun stand, der sich rund um die Villa zog. Mobiltelefone wurden hoch über die Köpfe gereckt.
Die Moderatorin war offenbar ebenso interessant wie der tragische Anlass selbst, dem der ganze Auflauf zu verdanken war.
Wobei auch der Hauptkommissar Sina Dewies keineswegs unterschätzte.
Die Tatsache, dass sie bisher ein unbeschriebenes Blatt war – anders als ihre Vorgängerin Margit Stahmke, die ihm und seinen Ermittlungen ein Vierteljahrhundert lang nachgestellt hatte –, hätte ihn in einer falschen Sicherheit wiegen können.
Doch diesen Fehler
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