Öffne deine Seele (German Edition)
keineswegs sicher, mit wem ich mich unterhielt, doch die Ereignisse der letzten Stunden und die Tatsache Ihres Besuchs: Ist es unter diesen Umständen noch schwierig, auf die Zusammenhänge zu schließen?»
Zögernd nickte ich. Wie Marius es ausdrückte, hatte er tatsächlich nur eins und eins zusammenzählen müssen, ohne irgendwelche tiefenpsychologischen oder seherischen Fähigkeiten zu bemühen, die er möglicherweise besaß.
«Diese Erklärung scheint Sie zufrieden zu stellen», bemerkte Marius.
Ich blinzelte. «Ja. Das ist nachvollziehbar. Marius, ich hätte dann ein paar Fragen.»
«Wobei …» Das Wort kam ganz leise.
Jeder Mensch kennt diese Talkshows, in denen sich die Leute gegenseitig überbrüllen.
Marius war anders. Marius wurde nicht laut. Doch gerade diese leise, nachdenkliche Stimme brachte mich dazu, noch genauer hinzuhören.
«Wobei ich natürlich ausgesprochen viele Anrufe bekomme», murmelte er. «Und Sie können sich vielleicht vorstellen, dass die Berichterstattung aus der Hamburger Society nicht zu den Dingen gehört, die ich regelmäßig verfolge. Möglicherweise war mir Falk Sieverstedts Stimme also überhaupt nicht vertraut. Wie hätte ich sie dann aber mit einem meiner Freunde aus der Sendung in Verbindung bringen können? Wie hätte ich vermuten können, dass es von allen diesen Anrufern ausgerechnet Felix war?»
«Was?» Ich legte den Kugelschreiber ab. «Sie haben ihn also nicht erkannt?»
«Und viele meiner Freunde haben leider große Probleme in ihrem Leben», murmelte er weiter. «Ich bemühe mich, ihnen einen Weg aufzuzeigen, der aus dieser Situation herausführt. Das ist der Grund, aus dem ich seit Jahren diese Sendung gestalte. Doch viele, viel zu viele dieser Menschen sind noch weit entfernt von diesem Ziel. Sie kämpfen, doch noch sind sie schwach, und viele von ihnen bringt diese Schwäche in Konflikt mit dem Gesetz. Unzählige denkbare Anlässe also, die Sie, Frau Friedrichs, heute Abend zu mir geführt haben könnten.»
Ich kniff die Augen zusammen. Die ganze Zeit versuchte ich mich auf die Lichtverhältnisse einzustellen, den nahezu dunklen Raum, die harte Helligkeit des einzelnen Strahlers, der doch nur seine Hände beleuchtete, sein Gesicht aber im schützenden Schatten ließ. Seine Miene hinter der dunklen Brille blieb undeutlich, keine Regung war ablesbar.
«Was soll das?», fragte ich. «Sie haben mir doch gerade selbst erzählt, dass Sie wissen, warum ich hier bin. Wollen Sie mir jetzt plötzlich weismachen, dass Sie nur geraten haben?»
«Worum ich mich bemühe, Frau Friedrichs, ist lediglich, Ihnen bewusst zu machen, dass der erste und offensichtliche Gedanke keineswegs der zutreffende sein muss. Die Wahrheit liegt meist wesentlich tiefer als das offenkundig Sichtbare.»
«Exakt», sagte ich. «Genau deshalb bin ich hier. Um herauszufinden, warum Falk Sieverstedt sterben musste. Haben Sie sich die Sendung angesehen, die gerade eben auf Ihrem Sender lief? Haben Sie gesehen, was in diesem Moment im Volkspark …»
Ich brach ab, als mir klarwurde, dass Marius mit seiner Überempfindlichkeit gegen Licht vermutlich gar nicht in der Lage war fernzusehen.
«Ich habe die Berichterstattung verfolgt», sagte er freundlich, und ich war ihm dankbar, dass er über meine Formulierung hinwegging. Doch er wurde ernster. «Und ich bin ebenso entsetzt wie Sie. Nein, mein Entsetzen ist größer als bei irgendeinem anderen Menschen, möchte ich behaupten. Denn ich hätte meinem Freund Felix helfen können, wenn er es zugelassen hätte, und in ein paar Minuten gehen wir auf Sendung. Was glauben Sie, was geschehen wird, wenn wir die Leitungen freischalten? Welche Fragen man mir stellen wird? Wie die Menschen dort draußen auf Felix’ Tod reagieren? Nicht diejenigen im Park. Mit Gewalt reagieren nur diejenigen, die keine bessere Lösung kennen.»
Eine winzige Pause, in der er mich aufmerksam zu betrachten schien.
«Meine Aufgabe ist es, andere, bessere Lösungen aufzuzeigen», sagte er. «Und dazu möchte ich Sie um Ihre Hilfe bitten.»
Jetzt starrte ich ihn an. «Sie?», fragte ich. «Mich?»
Er nickte. Es war die erste Bewegung, die nicht nur angedeutet wurde.
«Sie möchten mit mir ein Gespräch über Felix führen, Frau Friedrichs. Über Falk Sieverstedt. Und nichts anderes wünschen sich auch die Menschen dort draußen.»
«Ich bin Ermittlerin bei der Kripo. Sie können doch nicht glauben …»
«Wenn ich es richtig verstanden habe, handelt es sich doch um
Weitere Kostenlose Bücher