Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
aufleuchteten.
» Wie heißt er?«
» Mohamed Abane, sechsundzwanzig Jahre. Ein Vorstrafenregister so lang wie mein Arm. Tolle Jugend, nichts als Prügeleien, Drogen, Diebstähle und Erpressungen. Zum guten Schluss zu zehn Jahren Knast verurteilt wegen Vergewaltigung und Verstümmelung.«
» Erklär das genauer.«
» Sein Opfer, eine Zwanzigjährige, wäre beinahe dabei draufgegangen. Denn zum Dank hat er ihr auch noch die Genitalien verbrannt. Damals war Abane gerade mal sechzehn.«
» Nettes Früchtchen.«
» Wegen guter Führung wurde er vorzeitig entlassen, vor elf Monaten aus dem Gefängnis von Fresne.«
Sharkos Hand umklammerte das Telefon. Zum ersten Mal seit Beginn der Ermittlungen hatte er eine konkrete Spur.
» Seine letzte Adresse?«
» Er hatte sich in Asnières-sur-Seine bei seinem Bruder Akim eingenistet.«
» Gib mir die genaue Anschrift.«
» Glaubst du, wir haben auf dich gewartet? Die Leute von Péresse sind schon unterwegs, sie werden bald da sein. Das ist ihr Job, nicht deiner. Komm lieber ins Büro. Ich habe schon die halbe Liste der humanitären Organisationen, die 1994, zum Zeitpunkt der Morde an den Kindern, in Kairo vertreten waren.«
» Leg sie zur Seite.«
Sharko hängte ein. Einen Finger am Kinn, lief Lucie auf und ab.
» Na, was grübeln Sie, Henebelle?«
» Lacombe kommt bei einem Brand ums Leben, und das ein Jahr, nachdem er seinen Film gedreht hat. Und in ebendiesem Jahr gelangt eine Kopie als anonyme Schenkung ins kanadische Archiv. Und wenn sich Lacombe bedroht gefühlt hatte? Und wenn er viele Kopien von seinem Film gezogen und an verschiedene Archive geschickt hatte, um sein Geheimnis zu wahren, aber auch, um es weiterzugeben wie einen Virus? Wir haben ja gesehen, mit welcher Geschwindigkeit der Streifen von Hand zu Hand, von Sammlung zu Sammlung gewandert ist.«
Sharko nickte. Die Kleine war wirklich begabt.
» Auf seine Art ist es Lacombe gelungen, seinen Schatz zu hüten, indem er ihn auf die Reise geschickt und so sein Überdauern gesichert hat, damit er eines Tages entschlüsselt und verstanden werden kann. Ja, das ist durchaus möglich.«
Lucie stimmte zu. Letztlich fügten sich die Teile des Puzzles zusammen, selbst wenn es noch nicht möglich war, den endgültigen Sinn zu erraten. Sharko wählte schnell eine andere Nummer.
» Wen rufen Sie an?«
» Meine alten Kollegen vom Quai des Orfèvres, ich brauche die Adresse von Abane. Trödeln Sie nicht zu lange im Bad. In zehn Minuten setze ich Sie am RER ab, und Sie fahren nach Hause.«
Lucie strich ihr verknittertes T-Shirt glatt.
» Das glaube ich nicht. Ich begleite Sie.«
Kapitel 38
Asnières-sur-Seine… eine saubere Stadt, ein angenehmes Zentrum, kleine sympathische Geschäfte. Außen herum aber und oben darüber war es weit weniger freundlich. Beton ersetzte die Natur, der Himmel wurde von großen silbrigen Vögeln durchzogen, die von Roissy aus starteten, und am Horizont nichts als triste graue Wohnblocks und ebenso hässliche Bürogebäude. Die Pariser Banlieue in ihrer ganzen Pracht. Und mitten hindurch floss die Seine.
Sharko und Lucie stiegen an der Metrostation Gabriel-Péri aus und gingen zur Wohnung von Akim Abane, dem Bruder einer der fünf Toten von Gravenchon. Er war nicht vorbestraft und arbeitete als Nachtwächter in einem Supermarkt. Ein unbescholtener Mann, wie es schien, der im dritten Stock eines dunklen Betonklotzes wohnte. Vor dem Eingang wurde Lucie mit eher harmlosen Pfiffen von Halbwüchsigen begrüßt, die auf einem mickerigen Stück Rasen hockten.
Der Mann, der ihnen öffnete, hatte typisch südländische Züge. Ein scharf geschnittenes Gesicht, einen athletischen, muskulösen Körper. Sicher ein Anhänger des Kraftsports. Sharko trat vor.
» Akim Abane?«
» Wer sind Sie?«
Zu Sharkos großer Befriedigung waren die Jungs von der Kripo noch nicht da gewesen. Er beglückwünschte sich zu seiner Schnelligkeit und zeigte seine Dienstmarke. Abane trug Shorts und ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck Les foulées vertes de Fontenay, dem berühmten Marathonlauf.
» Ich muss Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Bruder Mohammed stellen.«
Der Araber blieb weiter auf der Schwelle stehen.
» Was hat er schon wieder angestellt?«
» Er ist tot.«
Akime Abane schwankte leicht, ballte dann die Fäuste und hieb gegen den hölzernen Türrahmen.
» Wie?«
Sharko machte nicht viele Worte und mied überflüssige Details.
» Allem Anschein nach von einer Kugel tödlich getroffen. Seine
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