Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
waren, um ihr Ziel zu erreichen.«
Lucie seufzte und blickte dem Hauptkommissar in die Augen.
» Wenn man bedenkt, dass wir durch diese schrecklichen Dinge zusammengekommen sind, wir beide. Ohne diese Abscheulichkeiten wären wir uns nie begegnet.«
» Zwei Polizisten wie wir können nur durch eine Beziehung zusammenkommen, die aus dem Leid geboren ist, glaubst du nicht?«
Lucie biss sich auf die Unterlippe. Die Härte und der Wahnsinn der Welt machten sie unendlich traurig.
» Welche Logik verbirgt sich hinter alldem?«
» Es gibt keine Logik. Es hat nie eine gegeben.«
Sie deutete mit dem Kopf auf den Bildschirm.
» Das andere Verzeichnis. Es wird Zeit, dass wir uns mit Szpilmans Entdeckungen befassen. In der Hoffnung, seine Geheimnisse endlich lüften und die Sache ein für alle Mal abschließen zu können.«
Sharko nickte ernst. Die Atmosphäre im Zimmer war schwer und lastend geworden. Mit einem Mausklick öffnete der Polizist das Verzeichnis mit dem Titel Szpilman’s discovery. Es war eine Powerpoint-Datei, die den Namen Mental contamination.ppt trug. Lucie spürte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte.
» Warte kurz. Rotenberg hat von der mentalen Kontamination gesprochen, bevor man auf ihn geschossen hat. Bei allem, was danach geschehen ist, den Schüssen, dem Feuer, hatte ich das völlig vergessen. Öffne die Datei.«
» Eine Reihe Fotos, könnte man sagen.«
Die Diaschau begann und enthüllte ihr in Pixel gefasstes Gift. Es erschienen Fotos von deutschen Soldaten, die über jüdische Frauen herfielen. Diese Bilder hatten die Polizisten bereits bei dem Treffen in Nanterre gesehen. Der Blick des Soldaten im Vordergrund war farbig eingekreist.
» Die Augen… darauf wollte Szpilman die Aufmerksamkeit lenken.«
Die folgende Fotoserie: Massengräber.
Aufgestapelte, ineinander verkeilte Leichen von Afrikanern, die von der Armee aufgehäuft worden waren. Ausdruck eines abscheulichen Massakers.
» Ruanda…«, murmelte der Kommissar. » 1994, der Völkermord.«
Ein besonders unerträgliches Foto zeigte Hutus in Aktion, mit Macheten bewaffnet. Die Gesichter der Angreifer waren von Hass verzerrt, Speichel schäumte auf ihren Lippen, die Muskeln an Hals und Armen zeichneten sich deutlich ab.
Auch hier wieder waren die Augen der Mörder eingekreist. Lucie beugte sich so nah wie möglich zu dem Bildschirm vor.
» Es ist immer, wirklich immer, derselbe Blick, ob bei dem Deutschen, dem Hutu oder den kleinen Mädchen mit den Kaninchen. Es ist wie… eine Gemeinsamkeit des Wahnsinns quer durch alle Völker und Epochen.«
» Verschiedene Formen der kollektiven Hysterie. Wir sind mittendrin.«
Der Kriegsfotograf hatte sich anschließend mitten unter die Leichen gewagt und nicht mit makabren Großaufnahmen gegeizt.
Das nächste Foto ließ Lucie und Sharko schockiert erstarren.
Es zeigte einen Tutsi mit ausgeschälten Augen und aufgesägtem Schädel.
Das Foto trug einen Untertitel: » Über das Massaker hinaus… Ausdruck des Wahnsinns der Hutu.«
Lucie setzte sich in den Sessel. Der Kriegsfotograf hatte geglaubt, es habe sich um eine Barbarei der Hutus gehandelt, aber die Wahrheit sah anders aus.
» Das kann doch nicht sein…«
» Selbst dort ist er gewesen. Der Irre, der die Gehirnmasse entwendet. Ägypten, Ruanda, Gravenchon… wie viele weitere Orte mögen es noch sein?«
Im Anschluss an diese Fotos folgten neue Dokumente. Teils waren es Archivfotos, teils eingescannte Artikel oder Seiten aus Geschichtsbüchern.
Immer ging es um Völkermord oder Massaker. Birma 1988, Sudan 1989, Bosnien-Herzegowina 1992. Fotos, die in der Raserei des Augenblicks entstanden waren. Alles, was die Geschichte an schlimmsten Abscheulichkeiten zu bieten hatte, war hier zusammengetragen. Und immer wieder waren die Augen eingekreist. Sharko suchte zwischen den Leichenbergen nach aufgesägten Schädeln, ohne sie zu finden. Aber sie waren sicher vorhanden, irgendwo zwischen den Toten. Man hatte sie nur nicht fotografiert.
Der Polizist drückte energisch auf » Stopp«.
» Genug!«
Er stand auf und ging, die Hände vors Gesicht geschlagen, hin und her. Lucie hatte sich noch nicht wieder gefangen.
» Mentale Kontamination«, wiederholte sie immer wieder mechanisch…
Sie ließ die letzten Bilder vorbeiziehen, dann endete die Vorführung.
Es war still im Raum. Nur die Klimaanlage surrte leise. Lucie war zum Fenster gestürzt, um es zu öffnen.
Luft, sie brauchte frische Luft.
Kapitel 57
Sharko presste seine
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