Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
herzustellen.«
» Sie haben Psychiatrie gesagt, also handelt es sich nicht um einen Tumor?«
Der Arzt wandte sich einem der zahlreichen Röntgenbilder zu, die Ludovics Gehirn zeigten, und nahm es ab.
» Sehen Sie, alles in Ordnung, nicht die geringste Anomalie.«
Ebenso gut hätte er ihr das Gehirn einer Kuh zeigen können, und doch war Lucie ein wenig beruhigt. Ludovic würde nicht sterben.
» Ich glaube Ihnen aufs Wort.«
» Wir haben auch nach Verletzungen des visuellen Cortex gesucht, um diese kortikale Erblindung zu erklären, aber wir haben nichts gefunden.«
» Kortikale Erblindung?«
Der Arzt lächelte sie müde an.
» Man glaubt gemeinhin, das Auge würde sehen, doch es ist nur ein Werkzeug, eine Art Lichtschacht. Lesen Sie diesen Text, dann werden Sie es verstehen.«
Lucie griff nach der Karte, die er ihr reichte.
Dieser Texte soll zuigen, dass unsre Gehirn nicht geanu das übesretzt, was unser Aueg sieht, sondren dass es durch siene Vorketnnisse beeinflusst, die Wotre versteht, ohne sich durch die Riehenfolge der Buchstaebn irriteiren zu lassne.
» Sehr beeindruckend.«
» Nicht wahr? Die Netzhaut leiht, wenn man so sagen kann, nur ihre Fläche, um ein Bild zu materialisieren, so wie es auch bei einer Filmleinwand der Fall ist. Es handelt sich lediglich um ein passives Objekt, eine Linse. Interpretieren tut das Gehirn, ausgehend von seinem Vorwissen, den Erfahrungen und dem kulturellen Umfeld. Es macht aus dem Bild das, was es ist: ein signifikantes Objekt.«
Er hängte die Röntgenaufnahme zurück an ihren Platz.
» Das Eigenartige bei diesem Patienten ist, dass er bestimmten Hindernissen ausweicht, ohne sie zu sehen. Zum Beispiel haben wir ihm eine Kiste, einen Stuhl oder etwas anderes in den Weg gestellt. Und wir haben ihn gefilmt. Sie können sich die Aufzeichnung anschauen. Wirklich erstaunlich.«
» Nein danke. Er sieht also, ohne bewusst zu sehen. Das ist unbegreiflich.«
» In medizinischer Hinsicht– ja, aber wenn wir Ärzte nichts feststellen können, muss die Ursache psychischer Natur sein.«
» Sie meinen… eine Art Schizophrenie oder Depression würde ihn am Sehen hindern?«
» Nein, eher Phänomene wie Neurosen, Phobien, Angstattacken oder Hysterie. Wir vermuten, dass es sich um eine hysterische Blindheit handelt, eine sensorielle Störung, die zu den Konversionshysterien zählt: eingebildete Lähmungserscheinungen, Taubheit, Unbeweglichkeit der Gliedmaßen… Die bekannteste Form ist der Phantomschmerz.«
Er knipste die Lichter aus und bat Lucie, ihm durch die Korridore der neurologischen Abteilung zu folgen. Die fahle Beleuchtung erzeugte eine futuristische, aseptische Atmosphäre.
» Ein Psychiater kann Ihnen das besser erklären als ich, aber die Hysterie ist ein Abwehrmechanismus, der einsetzt, um die Psyche vor einer unvermittelten Aggression zu schützen. Sie tritt urplötzlich auf, wenn der Patient mit einem Auslöser konfrontiert wird, der in Bezug zu seiner Kindheit steht. Ein tief sitzendes, traumatisierendes Element.«
» Können besondere Bilder der Anlass sein?«
» Ich weiß, woran Sie denken. An den Film, der ihn blind gemacht haben soll… Davon hat Monsieur Sénéchal dauernd gesprochen. Ja, theoretisch ist das möglich und unter den gegebenen Umständen sogar wahrscheinlich. Die Blindheit ist während der Vorführung eingetreten. Der einzige Haken ist, dass der Patient behauptet, die Bilder hätten ihn nicht schockiert. Er ist an Filme aller Art gewöhnt, und der durchschnittene Augapfel in der Anfangsszene hat ihn nicht sonderlich berührt. Und auch ansonsten waren, so der Patient, keine traumatisierenden Elemente vorhanden. Er hat den Kurzfilm nicht einmal bis zum Schluss angeschaut, denn er wurde bereits vorher blind.«
» Die Szene mit dem Stier hat er also nicht gesehen?«
» Ein Stier? Nein, davon war nicht die Rede. Aber er hat von einem Unwohlsein gesprochen, von zunehmenden Angstgefühlen. So als hätte sich etwas um seinen Hals gelegt und ihn erstickt, bis er nichts mehr sehen konnte.«
Lucie hatte genau dasselbe empfunden. Sie hatte geglaubt, ersticken zu müssen. Dabei war zwischen der Szene mit dem durchschnittenen Auge und der, als der Stier abgestochen wurde– und die Ludovic nicht einmal gesehen hatte–, nichts wirklich Schockierendes passiert. Nur ein kleines Mädchen, das Kätzchen streichelt und auf der Schaukel sitzt.
» Könnten versteckte Bilder der Auslöser gewesen sein?«
Der Arzt überlegte kurz.
» Subliminale
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