Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Krankenhausgeruch loszuwerden. Dann sprang sie unter die Dusche, ließ das lauwarme Wasser auf ihren Nacken und ihre Brüste prasseln. Nachdem sie zwei Tage außer Haus verbracht, nichts als Püree gegessen, nur Katzenwäsche gemacht und unbequem geschlafen hatte, wurde ihr klar, wie sehr sie ihr kleines Leben liebte, mit ihren Töchtern, ihren Gewohnheiten, ihrem abendlichen Fernsehfilm, die Füße in den Lammfellpantoffeln, die sie von den Zwillingen– und ihrer Mutter– zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Wenn man auf einfache Dinge verzichten muss, wird einem bewusst, dass sie letzten Endes gar nicht so schlecht sind.
Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, entschied sie sich für eine lange, leichte blaue Seidenbluse, die über die Hüften fiel, darunter ihre Caprihose, die bis zur Wadenmitte reichte. Sie liebte die Form ihrer Beine, gebräunt vom Joggen, zweimal wöchentlich rund um die Zitadelle. Seitdem die Zwillinge in die Schule gingen und dort in der Kantine aßen, war es ihr gelungen, ihrem Tagesablauf zwischen Arbeit, Freizeit und Familie erneut eine Struktur zu geben. Sie war, wie ihre Mutter sagte, wieder eine Frau geworden.
Sie warf einen Blick in ihren Computer, um ihr Konto bei der Singlebörse Meetic einzusehen. Der Fehlschlag mit Ludovic hatte sie von dieser Form virtueller Beziehungen nicht abbringen können. Es war schlimmer als eine Droge geworden, und vor allem ließ sich Zeit damit gewinnen– denn die war, wie bei fast allen Leuten, knapp bemessen.
Sieben neue Anfragen hatten sich auf ihrem Profil angesammelt. Sie klickte sie rasch an, sortierte fünf gleich aus, legte zwei beiseite– brünette Typen von dreiundvierzig und vierundvierzig Jahren. Die Selbstsicherheit, die ein Mann von knapp über vierzig ausstrahlte, war genau das, was sie suchte. Eine verlässliche, starke Präsenz, jemanden, der sie nicht für die erstbeste dahergelaufene Tussi sitzen ließ.
Erfrischt verließ sie die Wohnung. Als sie die Tür abschloss, nahm sie allerdings ein leichtes Schaben des Schlüssels im Schloss wahr. Etwas schien bei der zweiten Umdrehung zu haken. Lucie beugte sich vor, betrachtete aufmerksam das Metall und versuchte es noch einmal. Es gelang ihr zwar, richtig abzuschließen, doch die Verunsicherung blieb. Verärgert öffnete sie die Tür erneut, suchte das Wohnzimmer ab, dann auch die anderen Räume. Sie warf einen Blick in die Schränke, in denen sie ihre DVD s, ihre Bücher aufbewahrte. Alles war unverändert, zumindest dem Anschein nach… Natürlich dachte sie an das Phantom bei Ludovic. Der Typ, der dort herumgeschnüffelt hatte, hätte sich beim Hinausgehen sehr gut ihr Autokennzeichen merken und auch hier gewesen sein können. Jeder andere wäre zu dem Schluss gekommen, dass das Schloss nicht mehr das neueste und es an der Zeit war, ihm einen Tropfen Öl zu verpassen. Lucie zuckte lächelnd die Achseln und machte sich endlich auf den Weg. Sie musste aufhören, sich wegen Lappalien den Kopf zu zerbrechen. Was sie allerdings nicht daran hinderte, noch lange nach ihrer Abfahrt in den Rückspiegel zu schauen und sich immer wieder daran zu erinnern, dass der rätselhafte Film bei Claude Poignet in Sicherheit war.
In einer alten Kiste ohne Klimaanlage über die holprigen belgischen Autobahnen nach Lüttich zu fahren, das kam einem Abenteuer gleich, doch sie erreichte ihr Ziel ohne Zwischenstopp. Luc Szpilman öffnete ihr die Tür. Ein hässliches Piercing durchbohrte seine Unterlippe.
» Hatten Sie mich angerufen?«
Lucie nickte und zeigte ihm ihren Dienstausweis. Sie hatte ihren Besuch mit einem Teil der Wahrheit begründet: Einer der Filme, die Ludovic Sénéchal gekauft hatte, interessierte die Polizei aufgrund der Brutalität seiner Bilder.
Er musterte sie mit seinen Schweinsäuglein. À la Tokyo Hotel schien das Haar auf seinem Kopf explodiert zu sein.
» Kommen Sie rein, aber erzählen Sie mir bloß nicht, dass mein Vater in irgendwelche dunklen Geschäfte verwickelt war.«
» Nein, nein. Seien Sie unbesorgt.«
Er führte sie über ein paar Stufen hinab in ein geräumiges Wohnzimmer. Ein Lichtschacht öffnete sich auf einen klaren dunkelblauen Himmel. Lucie musste an eine Art Riesenterrarium denken. Luc Szpilman öffnete eine Bierdose, sie entschied sich für ein Glas Wasser. Irgendwo im Haus wurde ein Instrument gespielt. Die Töne tanzten, leicht und verführerisch.
» Klarinette. Das ist meine Freundin.«
Erstaunlich. Lucie hätte ihn eher an der Seite eines Mädchens
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