Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Normalerweise nämlich verlassen diese Filme niemals das Archiv. Aber Papa wollte nicht, dass sie in den riesigen seelenlosen Gängen verkamen. Wissen Sie, er war so einer, der seine Filmrollen streichelte wie eine alte Katze.«
Lucie hörte aufmerksam zu und sprach dann von dem Mädchen auf der Schaukel und der Szene mit dem Stier. Luc gab sich weiterhin ahnungslos und schien ehrlich zu sein. Schließlich bat sie ihn, sie auf den Dachboden zu führen.
Im Treppenhaus wurde ihr klar, warum sich der Vater nicht mehr hinaufbegeben hatte– die Stufen waren mehr als steil. Oben angekommen, lief Luc zur eingehängten Rollleiter, die er auf die entgegengesetzte Seite schob.
» Hier genau befand sich die Leiter, als ich ihn gefunden habe.«
Lucie sah sich aufmerksam um. Der versteckte Raum eines leidenschaftlichen Sammlers.
» Warum wurde sie bewegt?«
» Eine Menge Leute sind hier aufgekreuzt und werden wohl auch noch kommen. Seit gestern Morgen gehen die Filme weg wie warme Semmeln.«
Lucie wurde hellhörig.
» Haben alle Besucher Filme gekauft?«
» Ähm… nein, nicht alle.«
» Erzählen Sie genauer.«
» Da war dieser Typ, der kurz nach Ihrem Freund gekommen ist, der war irgendwie komisch.«
Die Antworten kamen immer langsamer. Das Bier vermutlich.
» Noch genauer bitte.«
» Er hatte sehr kurze Haare. Blond, mit sehr kurzem Bürstenschnitt. Keine dreißig Jahre. Ziemlich stämmig, mit Rangers oder was Ähnlichem an den Füßen. Er hat alle Regale durchstöbert, so als suchte er etwas ganz Spezielles. Letzten Endes hat er nichts genommen, doch er hat mich gefragt, ob schon Leute gekommen wären und Filme mitgenommen hätten. Da habe ich ihm von Ihrem Ludovic Sénéchal erzählt. Als ich diesen Film ohne Etikett erwähnt habe, den der unter anderem gekauft hat, meinte der Typ, er würde sich gern mit Sénéchal unterhalten. Deshalb habe ich ihm seine Adresse gegeben.«
» Hatten Sie die denn?«
» Auf dem Scheck über vierhundert Euro hatte er sie notiert.«
Also ging alles von hier aus. So wie Ludovic musste der Unbekannte auf die Annonce gestoßen und herbeigeeilt sein. Er war zu spät gekommen, da Ludovic, der nahe an der Grenze wohnte, das Entscheidende schon gekauft hatte. Das bedeutete, dass dieser Typ die Trödler abklapperte und schon seit Langem die Kleinanzeigen las, in der Hoffnung, auf diesen verschwundenen Film zu stoßen.
Lucie fragte Szpilman weiter aus. Der Besucher war in einem ganz normalen Wagen gekommen, einem schwarzen Fiat, wenn er sich nicht täuschte. Ein französisches Kennzeichen, das er sich aber nicht gemerkt hatte.
Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. Lucie betrachtete den riesigen Flachbildschirm, der an der Wand befestigt war. Szpilman hatte gesagt, sein Vater habe kurz vor seinem Tod die Nachrichten angesehen.
» Haben Sie eine Idee, was Ihren Vater veranlasst haben könnte, plötzlich auf den Dachboden zu steigen?«
» Nein.«
» In welchem Programm hat Ihr Vater normalerweise die Nachrichten gesehen?«
» Immer auf dem französischen TF 1. Das war sein Lieblingssender.«
Lucie notierte im Kopf, dass man die Nachrichten vom Abend seines Todes genauer ansehen müsste– für alle Fälle.
» War jemand hier, bevor er nach oben gegangen ist? Am Morgen, am Nachmittag?«
» Nicht dass ich wüsste.«
Sie sah sich kurz um. Kein Telefon mit Festnetz im Raum.
» Besaß Ihr Vater ein Handy?«
Luc Szpilman nickte. Anscheinend gelassen, schenkte sich Lucie erneut Wasser aus der Karaffe ein. In Wirklichkeit kochte sie innerlich.
» Hatte er es bei seinem Tod bei sich?«
Der junge Mann schien betroffen. Er drückte seinen Zeigefinger auf die Tischplatte.
» Es war hier. Ich habe es heute Morgen aufgehoben, um es in das Regal dort zu legen. Die von der Polizei haben sich nicht dafür interessiert. Glauben Sie, dass…«
» Zeigen Sie es mir?«
Er stand auf und holte es. Der Akku war natürlich leer. Er schloss das Ladegerät an und reichte es Lucie. Ein altes Mobiltelefon, aber man konnte zumindest ein- und ausgegangene Anrufe mit Uhrzeit und Datum nachvollziehen. Zunächst interessierte sie sich für die Anruferliste. Der letzte Anruf datierte vom Vorabend des Todes, das heißt, vom Sonntagnachmittag. Eine gewisse Delphine De Hoos. Luc erklärte, dass es sich um eine Krankenschwester handelte, die ihm von Zeit zu Zeit Blut abnahm. Die anderen Anrufe lagen weiter zurück und waren, laut Sohn, normal. Nur ein paar alte Freunde oder Kollegen von der FIAF , mit denen sein
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