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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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gehabt hatte, einen Dichter, hieß es. Auch andere Sozialisten erschienen, dazu ein paar Kommunisten, Anarchisten, Syndikalisten sowie Kreuzungen aus diesen Arten; sie trugen die Krawatten gelockert (oder gar keine), das Haar hing ihnen in die Augen, und Dad und Tante Emma hatten den Eindruck, sie spionierten das Haus aus, um später einzubrechen. Selbst hier an dieser Goldküste, wo die Reichen Europas um Geld spielten und sich amüsierten, gab es Radikalenversammlungen, und arme Teufel am Rande des Hungertods erweckten stets das Mitleid eines gewissen jungen amerikanischen Millionärs, der im Luxus lebte und ein schlechtes Gewissen hatte. Als bekannt wurde, dass er Geld verlieh, tauchten diverse Bittsteller auf, und die meisten waren Betrüger – aber woher sollte ein junger amerikanischer Millionär das wissen?
    Tante Emma war in Begleitung von Dads Privatsekretärin aus Angel City angereist, und diese hatte zwei große Aktentaschen voller Dokumente und Briefe mitgebracht. So gab es für Dad etwas zu tun, und er war eine Zeit lang glücklich; er studierte die Papiere, schrieb lange Anweisungen, schickte verschlüsselte Telegramme und ärgerte sich, wenn manche Antworten vage formuliert waren. Ja, es war schwierig, einen Ölkonzern aus sechstausend Meilen Entfernung zu leiten. In der Nordhälfte von Sunnyside nahmen sie gerade Aufschlussbohrungen vor, da wollte man doch dabei sein und die Bohrkerne prüfen. Diese verdammten Narren hatten ihm die geologischen Berichte nicht einmal im vollen Wortlaut geschickt!
    Dad war nicht gesund genug, um zusammen mit Verne die Verhandlungen für die umfangreichen neuen Geschäfte in Angriff zu nehmen, er musste sich erst erholen. Doch die Ruhe tat ihm nicht gut, weil er nach einer Betätigung gierte, auch für seine Sekretärin. Immer dieselbe Küste auf- und abzufahren war langweilig, ebenso, auf Teepartys zu sitzen und mit vornehmen Nichtstuern zu plaudern … Dad verachtete diese Leute abgrundtief, sie waren nicht einmal derb und gesund wie die Reichen in Kalifornien, nein, sie waren durch und durch verdorbene, lasterhafte, schreckliche Menschen. Der ehemalige Maultiertreiber warf einen Blick in ihren weltberühmten goldenen Glücksspielpalast, ging wieder hinaus und spie auf die Stufen aus – pfui! Er war sogar bereit, über Bunnys Behauptung nachzudenken, die Menschen seien durch generationenlang vererbte Privilegien so geworden; wenn es in Kalifornien so weitergehe, würden Dads Enkel diesem Haufen hier noch eine Lektion in Sittenlosigkeit erteilen. Einige taten dies allerdings schon jetzt, hier an der Riviera. Was Frivolität und Prahlerei anbetraf, gaben reiche Amerikaner den Takt an.
    Macht nix, sagte Dad, er wolle trotzdem Amerikaner um sich haben! Er zog los und fand einen im Ruhestand lebenden Warenhausbesitzer aus Des Moines, dem genauso verzweifelt langweilig war wie ihm, und nun saßen die beiden stundenlang auf der Esplanade und sprachen über ihre Geschäfte und ihre Sorgen. Bald gesellte sich ein Bankkaufmann aus South Dakota zu ihnen und dann ein Farmer, der in Texas Öl gefunden hatte. Das Weibervolk machte weiterhin seine närrischen europäischen Besichtigungstouren, und den Vätern blieb nichts anderes übrig, als sich rauszuhalten und über die Rechnungen zu murren. Jetzt waren sie immerhin zu viert, machten sich gegenseitig Mut und fanden sogar einen kleinen Platz, auf dem sie Hufeisen werfen konnten 120 – in Hemdsärmeln, verdammt noch mal, als hätten sie niemals den Fehler gemacht, zu viel Geld zu verdienen und ihr Familienleben zu ruinieren.
    9
    Es wurde heiß, und sie fuhren zurück nach Paris. Jetzt gefiel es Dad besser, er konnte über die Boulevards schlendern und in diesen Straßencafés sitzen, wo man so schlückchenweise vor sich hin trank. Es gab immer einen Kellner, der Englisch verstand, und vielleicht war er auch in God’s country gewesen und wollte darüber plaudern. Dad lernte eine Menge Amerikaner kennen; er entdeckte das Expresskurierbüro, wo sie ihre Post abholten, und stieß dort sogar auf Leute aus Angel City. Die Zeitungen von zu Hause kamen zweimal die Woche und mit großer Verspätung.
    Auch Freunde tauchten auf – zum Beispiel Annabelle Ames, um die Londoner Premiere von «Ein Mutterherz» zu besuchen und mit Verne nach Rumänien und Konstantinopel weiterzureisen. Anscheinend unterstützte Verne die türkische Regierung, um auf diesem Wege aus den Briten eine größere Beteiligung am Mosul-Öl herauszuquetschen. 121

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