Öl auf Wasser - Roman
Entführer?«
»Kann sein. Auf alle Fälle aber jemand, der wusste, wo und wann.«
Die Insel sah weniger wie ein richtiges Dorf als vielmehr wie eine Durchgangsstation aus, an der sich Händler trafen, um zu kaufen und zu verkaufen, und Reisende sich mit Nachschub versorgten. Jetzt lag es verlassen da; die Menschen mussten, nachdem der erste Schuss gefallen war, mit ihren Hühnern und Ziegen und Töpfen und Pfannen in ihren Einbäumen den Fluss hinunter geflohen sein, ohne auch nur eine Welle zu kräuseln. Schritt für Schritt bewegten wir uns landeinwärts, schoben die nassen Blätter und glitschigen Ranken beiseite, betrachteten die Überreste des Massakers. Bäume lagen auf dem Boden, in Hälften gespalten, und der Lebenssaft tropfte aus ihnen heraus. In der Luft hing der Geruch von Verbranntem. Mitten in einem Gehöft war eine Hütte voll auf das Kegeldach getroffen worden und infolgedessen hatte das Schilf nachgegeben, und nun lagen das Schilf und die Sparren als riesiger Aschehaufen im Innern. Zaq kniete hinter einer Hütte im Busch und sprach mit dem Führer, wobei er wiederholt auf etwas zeigte, das er in der Hand hielt, und als ich zu ihnen hinüber ging, erkannte ich, dass es eine Patronenhülse war.
»Was meinen Sie? Welches Gewehr?«
Der Führer nahm Zaq die Patronenhülse weg, warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. Er schien glücklich zu sein, etwas gefunden zu haben, womit er sich auskannte.
»Das ist eine Patronenhülse Kaliber 7,62 Millimeter, wahrscheinlich von einer AK-47. Die Rebellen verwenden die sehr häufig.«
»Es gab also auf alle Fälle ein Feuergefecht?«
»Augenscheinlich kein großes Gefecht. Sie hatten keine Ahnung, was ihnen geschah. Ein Kampfhubschrauber muss sie überrascht haben, wahrscheinlicher aber noch ein Kanonenboot. Das Boot am Ufer muss zuerst in Flammen aufgegangen sein, danach die Hütten.«
Einer der Männer stieß hinter einem Baum einen Ruf aus, und als wir zu ihm hinüber gingen, sahen wir, wie sich die Journalisten aufgeregt zusammendrängten und die Blitzlichter zuckten. Ein Leichnam in einem zerrissenen blauen Hemd. Er war halb unter Bambusblättern begraben, sodass der aufgeschlitzte Bauch nur teilweise zu sehen war, doch war selbst dieses Wenige noch zu viel. Mit Blut vermischte, unverdaute Nahrung bedeckte das Gras um die Leiche herum, Fliegen summten und gingen nieder, gleichgültig gegenüber den klickenden Fotoapparaten und dem Geräusch des Erbrechens ringsum. Das Gesicht war zu einer Schmerzgrimasse verzerrt, der Mund stand in stimmlosem Heulen offen; er musste das Gewehr gesehen haben, das auf ihn angelegt gewesen war, nur Sekunden, bevor sich die Kugel in ihn grub. Jung sah er aus, kaum älter als zwanzig Jahre. Eine Blutspur nahm vom Körper ihren Ausgang und verlor sich im Gras, ein deutliches Zeichen dafür, dass er sich, nachdem er getroffen worden war, noch bis zu der Stelle geschleppt hatte, an der er jetzt lag. Nicht weit entfernt lagen zwei weitere Leichen unter einem Gebüsch, blutig, gebrochen, verzerrt. Ich kehrte mich von der Gruppe ab und betrachtete die spiegelnde, gekräuselte Oberfläche des Wassers in der Ferne; ich atmete tief durch. Zaq hatte sich unweit von mir über einen Busch gebeugt und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Er richtete sich auf, als er fertig war, das Gesicht schweißüberströmt, und wischte sich mit einem weißen Taschentuch das Erbrochene aus den Mundwinkeln. Er merkte, dass ich ihn ansah, und zwang sich zu einem matten Lächeln. Erschöpft hob er die Hand und zeigte zum Boot hinüber.
7.
»Ich kannte Dan, deinen Chefredakteur. Wir haben mal beide in Lagos als Reporter gearbeitet. Ist lange her.«
Zaq stand mir im Boot gegenüber, hob eine Hand, um sein verquollenes Gesicht gegen die Böen zu schützen, die oft unvermittelt aufkamen und dann über dem Wasser vergingen. Hinter den Bäumen klangen die aufgeregten Stimmen der Reporter hervor, die noch immer Fotos schossen. Ich konnte mir vorstellen, wie sie einander beiseiteschoben, die Plätze tauschten und versuchten, noch ein besseres und immer noch ein besseres Foto der toten Leiber zu machen. Zaq hatte sich auf dem Sitz niedergelassen, auf dem er bei unserer Ankunft gesessen hatte, doch lehnte er diesmal matt an der Bootswand, atmete tief aus und ein, erholte sich von seinem Brechkrampf. Er hatte eine Whiskyflasche aus seiner Jackentasche hervorgezogen und nippte daran. Ich saß ihm gegenüber und kippte das Wasser aus meinen Schuhen. Mit einem
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