Öl auf Wasser - Roman
nicht viel nützen wird. Ich hab das hier in der Gegend oft erlebt. Ein Mensch bekommt ganz plötzlich leichte Kopfschmerzen, dann Fieber, als nächstes einen Ausschlag, und plötzlich versagt ein lebenswichtiges Organ. Und wen die Krankheit nicht umbringt, den tötet die Gewalt. Manchmal frage ich mich, was ich hier überhaupt mache; hier werden eher Totengräber gebraucht als Ärzte.«
Ich wollte den Doktor fragen, ob er glaubte, dass die Kämpfe bald aufhörten, wer im Recht war und wer Unrecht hatte, ob er wüsste, wo sich der Professor aufhielt, ob er von der entführten Frau gehört hatte, doch stattdessen drehte ich mich um und sah zu der Hütte hinüber, in der Zaq lag und sein Leben aushauchte.
»Danke Doktor. Ich muss jetzt zu meinem Freund.«
»Unbedingt. Gehen wir zusammen.«
Er ging voran, stieß Rauch aus, die dicken Arme waagerecht vom Leib abgespreizt, der fette Hintern platzte fast aus der Hose, und ich konnte seinen keuchenden, verschleimten Atem hören und wollte hinter ihm her rufen: Doktor, heile dich selbst!
9.
»Der Major will Sie sprechen. Ich habe ihm gesagt, dass Sie so schnell wie möglich von hier fort müssen. Er wartet in der Kommandohütte auf uns. Lassen wir ihn nicht warten.«
Der Doktor ging voran, und Zaq und ich liefen hinterher. Soldaten mit Gewehren kamen und gingen, manche nickten dem Doktor kurz zu, wenn sie an uns vorüber gingen. Die Kommandohütte befand sich am Rand des Lagers, gleich neben dem Pfad, auf dem wir vom Boot hergekommen waren. Der Major erwartete uns vor der Hütte und winkte uns, ein Lächeln auf dem Gesicht, hinein.
»Hoffe, dass Sie gut geschlafen haben; hoffe, die Moskitos haben Sie nicht geärgert.«
Er hatte heute gute Laune, war fast schon leutselig, riss einen Witz über das steinharte Brot und den Tee ohne Zucker in den verbeulten Aluminiumbechern, die er uns kommen lassen hatte. Zaq und ich setzten uns auf eine lange Hartholzbank, die dem Kommandotisch gegenüber stand; der Major ließ sich dahinter nieder. Der Doktor saß abseits an einem rechteckigen Fenster, das auf die Bäume am Küstenstreifen hinaussah. Ich aß von dem harten, trockenen Brot und nippte am kalten Tee, Zaq aber würdigte das Brot nicht eines Blickes und schüttete den Tee, mehr aus Durst denn aus Freude an dem bitteren, tintigen Geschmack, in einem Zug hinunter. Er sah nicht wie ein sterbender Mann aus – er schien ausgeruht und munter. Der Doktor hatte gesagt, dass es so kommen würde, dass sich gute Tage mit schlechten abwechselten. Ich hatte Zaq nicht alles erzählt, was der Doktor gesagt hatte; nur, dass seine Situation ernst war und er so schnell wie möglich ins Krankenhaus musste. Er hatte genickt und nicht weiter gefragt.
Ich beschloss sofort, die gute Laune des Majors auszunutzen.
»Der alte Mann und der Junge, wann können wir mit ihnen sprechen?«
»Was wissen Sie denn über die beiden, sagen Sie mir das?«
»Es sind einfache Bauern, die sich irgendwie durchs Leben schlagen. Wir waren die ganze letzte Woche mit ihnen zusammen und sie können uns glauben, das sind keine Rebellen.«
»Ich kenne diese Leute besser als Sie. Wissen Sie, was das Problem mit euch Reportern ist? Ihr glaubt alles, was in den Zeitungen steht.«
Der Doktor lachte, der Major wartete darauf, dass auch wir lachten, und als wir das nicht taten, fuhr er fort.
»Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen. Unser Doktor hier hat mir berichtet, dass Sie auf dieser Reise unter anderem den Professor interviewen wollen, stimmt’s? Nun, was wissen Sie denn über ihn? Ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen: Er hat für eine Ölgesellschaft gearbeitet und hatte eines Tages die Nase von der Umweltverschmutzung voll und schloss sich den Rebellen an, um für Veränderungen zu kämpfen. Das sagen die Zeitungen. Nun, das stimmt überhaupt nicht.«
Zaq hob seine leere Teetasse und setzte sie wieder ab.
»Und Major, was ist dann die Wahrheit?«
»Der Doktor kann Ihnen von den verlassenen Dörfern hier in der Gegend berichten. Früher waren sie gut bewohnt, wissen Sie, sie waren voller Leben. Inzwischen haben die Leute ihre Sachen gepackt und sind fort, wegen der Gewalt. Dafür verantwortlich sind Typen wie der Professor. Sie nennen sich Freiheitskämpfer, sind aber Rebellen, Terroristen, Entführer. Sind Sie mit den Nachrichten auf dem Laufenden? Aahh, na klar, Sie schreiben ja die Nachrichten. Nun, es wurde gerade gemeldet, über dieses Funkgerät hier, dass sie in Port Harcourt ein dreijähriges
Weitere Kostenlose Bücher