Öl auf Wasser - Roman
mit denen ich zur Schule gegangen war; einige waren jetzt bei den Rebellen in den Wäldern, andere hatten mit Lösegeldforderungen Millionen gemacht, viele aber waren tot.
»Boma, John hat mehr Verstand.«
John hatte sie geheiratet, als andere sich beim Anblick ihrer roten, ständig wässrigen Augen und der vernarbten Wangen gewunden und zurückgezogen hatten. Wir waren zusammen aufgewachsen, wir drei; hatten uns in der Grundschule gemeinsam gegen die Schläger zur Wehr gesetzt und in der Oberschule auch, und uns nur getrennt, wenn ich nach Hause musste. Anfangs hatte ich geglaubt, John wäre nur aus Mitleid bei Boma geblieben, und ihm das übel genommen; richtig geglaubt hatte ich ihm erst, als ich sah, wie sie die Ringe tauschten und sich die Freude auf den verunstalteten Wangen meiner Schwester ausbreitete.
Sie schlief im Bett, und ich legte eine Decke auf den alten, zerschlissenen Teppich im Wohnzimmer, nachdem ich einige ihrer Sachen ins Schlafzimmer verfrachtet hatte. Boma schlief sofort ein, ich aber konnte nicht, und als ich es leid war, mich ständig hin und her zu wälzen, schaltete ich den Fernseher ein und sah mir einen Science-Fiction-Film über eine versunkene Welt an. Die Polkappen waren geschmolzen und das Land war überschwemmt worden, und nur Legenden wussten noch vom festen Land. Der Held, Kevin Costner, ist ein verhasster Mutant, der Kiemen und Schwimmhäute an den Füßen hat und sich auf allerlei Vorrichtungen und Apparate versteht. In einer Szene nimmt er die Heldin in einer Glasglocke mit unter Wasser und zeigt ihr eine überflutete Stadt. So sieht es aus, sagt er zu ihr; es gibt kein Land, drum lass alle Hoffnung fahren. Es gibt nur noch Wasser. Man sieht lange und wunderschöne Einstellungen des endlosen Meers, nur mit Kevin Costners zerbrechlichem Boot darauf, das angesichts der flüssigblauen Unermesslichkeit ganz klein aussieht. Der Film läuft noch, als ich bei dem Gedanken einschlafe, dass Menschen etwas Trauriges anhaftet, die auf dem Wasser zur Welt kommen, dort leben und schließlich auch sterben, auf verrosteten Schiffen und Booten und in fantastisch anmutenden Ballons, deren Tage und Nächte von der Hoffnung ausgefüllt sind, irgendwann festes Land zu entdecken, deren Kriege und Wirtschaft und Beziehungen und Kulturen einzig vom Mythos festen Bodens befeuert werden.
10.
Der
Reporter
war eine moderate Tageszeitung mittlerer Auflage und belegte die beiden unteren Stockwerke eines fünfgeschossigen Gebäudes im Zentrum von Port Harcourt. Unseren Büros gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befand sich eine Grundschule, die um acht Uhr morgens zum Leben erwachte und um vier Uhr nachmittags den Betrieb einstellte; daneben war ein Nachtklub, in dem es um acht Uhr abends lebendig wurde und bis vier Uhr morgens hoch herging; und die Straße weiter runter kamen nacheinander eine Autowerkstatt, ein Restaurant und eine Autowäsche. Seit sieben Jahren gab es den
Reporter
jetzt, und in dieser Zeit war die Mitarbeiterzahl von zwanzig auf zweihundert gestiegen, die Auflage von eintausend auf über zehntausend. Er gehörte Godwin Amaechi, dem »Vorsitzenden«, wie seine Angestellten ihn nannten, einem siebzigjährigen Reporterurgestein, der noch immer vor allen anderen ins Büro kam und erst nach zehn Uhr abends ging, wenn die Ausgabe des nächsten Tags im Kasten war. Er kontrollierte, von der Buchhaltung bis zu den Leitartikeln, noch jede Einzelheit wie ein Diktator, wenngleich ein wohlmeinender. Ich hatte erlebt, wie sich Kollegen, die gegenwärtig aus seiner Gunst gefallen waren, durch eine Tür verdrückten, sobald er auftauchte; ich hatte die Abteilungsleiter das Kreuzzeichen machen sehen, bevor sie sein Büro zu einer Besprechung betraten. Jeden Tag zur Mittagsstunde – mit Ausnahme der Sonntage, an denen er zuhause blieb, tat er etwas, das wir »die feierliche Truppenabnahme« nannten: Die begann in der lang gestreckten, rechtwinkligen Nachrichtenredaktion, wo er einen schlechten Reporter tadelte oder einen lobte, der es verdient hatte, und endete eine Stunde später im Erdgeschoss in der Kantine. Dort residierte er in der folgenden Stunde an der Stirnseite des Tisches, umgeben von Redakteuren und anderen Leitungskräften, von denen jeder sein Möglichstes tat, den anderen bei den Vorschlägen für geniale Stories auszustechen. Bei diesen grausigen Mittagessen saß der Tagesliebling der Reporter für gewöhnlich zur Rechten des Vorsitzenden – eine Ehre, die so quälend wie
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