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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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das hier in der Gegend erst ein oder zwei Mal erlebt. Bazillen und das Wasser, verstehen Sie?«
    »Und Sie meinen, dass er sterben wird?«
    Er wich meinem fassungslosen Blick aus und beschrieb mit der Hand einen Kreis, der das ganze sichtbare Universum in seiner Bewegung einschloss.
    »Irgendwo in diesen von Gott verlassenen Gewässern muss er sich das aufgelesen haben. Hier gedeihen jede Menge Bazillen. Und er war sowieso nicht in bester Verfassung. Ich vermute, dass seine Leber schon hinüber ist.«
    Er wischte sich die schweißnasse Stirn, und das erlaubte mir einen vollen Blick unter seine Achsel. Ich empfand einen irrationalen Hass auf ihn, und nichts hätte mir größere Befriedigung verschafft, als in seinen fett gefressenen Wanst zu stechen und ungerührt herausquellen zu sehen, was da an Innereien hineingestopft war.
    »Also, da müssen Sie unbedingt etwas unternehmen.«
    »Tut mir leid, das kann ich nicht. Nicht mit den Mitteln, die mir hier zur Verfügung stehen. Sie müssen ihn nach Port Harcourt zurück bringen, in ein richtiges Krankenhaus.«
    »Ich werde mit dem Major sprechen. Wir brauchen sofort eine Transportmöglichkeit.«
    »Das können Sie gern versuchen, aber ich bezweifle, dass er Ihnen auf irgendeine Weise helfen wird. Er gehört nicht unbedingt zu den entgegenkommendsten Menschen. Tut mir leid, das sagen zu müssen. Wissen Sie, ich habe ihm mal das Leben gerettet. Dadurch bin ich als Arzt hier gelandet, und trotzdem kann ich mir seiner niemals sicher sein. Launisch ist er. Unberechenbar. Das liegt am Öl und den Gefechten. Das zieht auf seltsame Weise jeden in Mitleidenschaft. Irgendwann einmal schreibe ich ein Buch darüber. Seit fünf Jahren stecke ich nun in diesem Sumpf, und ich sage Ihnen, das ist ein toter Ort, ein Ort zum Sterben.«
    Er zeigte zum fernen, orangefarbenen Himmel.
    »Diese verdammten Abgasfackeln. Als ich hier ankam, waren es noch nicht so viele. Manchmal habe ich das Gefühl, als hätte ich mein ganzes Leben hier verbracht.«
    »Also, was meinen Sie: Was soll ich tun? Mein Freund liegt im Sterben. Sagen Sie mir, was ich tun soll?«
    »Ach, das ist nicht so einfach …«
    Weil er froh darüber war, dass ihm jemand zuhörte, wurde er gesprächiger. Ich konnte mir gut ausmalen, wie er seine Tage hier zugebracht hatte, über seine Bechergläser und Blutproben gebeugt, seinen spekulativen philosophischen Beobachtungen hingegeben, denen sich das Stöhnen und Jammern der Soldaten entgegenstellte.
    Vor fünf Jahren, als er noch ein hagererer, idealistischerer Mensch als jetzt war, versetzte man ihn, frisch von der medizinischen Fakultät in ein unweit gelegenes Dorf. Der alte Arzt, der in den Ruhestand ging, holte ihn vom Boot ab und hatte einige Jungen dabei, die seine Sachen in das neue Quartier, eine geräumige Hütte nahe der Behandlungsstation, trugen. Der alte Mann führte ihn am nächsten Tag durch das Dorf und zeigte ihm die Behandlungsstation mit ihren zwei Räumen. Im Dorf wohnten kaum zwanzig Familien, und die Krankengeschichte jeder einzelnen hatte der Arzt mit seiner zittrigen, aber ordentlichen Handschrift sauber dokumentiert und abgeheftet, Akten in alphabetischer Reihenfolge, die im Hinterzimmer in zwei beeindruckenden eisernen Aktenschränken abgelegt waren.
    »Es war ein kleines Dorf. Anfangs war ich einsam und dachte täglich an nichts anderes, als daran, wie ich hier wieder wegkommen könnte, aber bald wurde mir dieser Ort mit seinen Menschen lieb. Egal, bevor er sich zu guter Letzt zurückzog, klapperte der alte Arzt mit mir alle Türen ab, auch in den Nachbardörfern, und stellte mich den Leuten vor. Ich führte mobile Behandlungsstationen auf Booten, hielt in Schulen und Kirchen Vorträge zur Gesundheit, sprach mit Lehrern und Predigern und Dorfoberhäuptern. Doch bald schon stellte ich fest, dass es den Leuten nicht in erster Linie um ihre Gesundheit ging; sie waren tatsächlich bemerkenswert gesund. Eines Tages sah mich ein Ältester scharf an und sagte, Ich bin nicht krank. Ich bin einfach nur arm. Können Sie mir dagegen etwas verschreiben? Wir wollen das Feuer hier, das Tag und Nacht brennt. Das hat er mir ins Gesicht gesagt, streitlustig.
    Dann wurde, als ob seine Bitte erhört werden sollte, zwei Jahre nach meiner Ankunft Öl im Dorf entdeckt. Man soll sich genau überlegen, was man sich wünscht, heißt es. Ja, genau am Dorfrand, wo die Küste verläuft, lagerte Öl in verwertbarer Menge. Die Dorfbewohner feierten wochenlang. Sie bekamen ihr

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