Öl-Connection
die Meere, nicht allein durch Unfälle, sondern weil Kapitäne auf hoher See ihre Tanks mit Meerwasser reinigen, Ölschlamm ablassen, undichte Stellen an den alten Schiffen nicht abgedichtet werden. Man sollte einmal sehen, was Kontrollflugzeuge im Bild festgehalten haben: Viele Tanker hinterlassen auf ihren Routen eine breite Ölspur! Wen wundert das, wenn man weiß, daß ein Großteil dieser Supertanker alter als fünfzehn Jahre sind? Ja, es gibt Tanker, die weit älter sind als 25 Jahre! Eine normale Wandstärke der Tanker soll 20 Millimeter Stahl betragen … aber auf den Meeren fahren völlig durchgerostete Tanker, deren Wandstärke nur noch fünf Millimeter beträgt! Fünf Millimeter … und in ihren Bunkern lagern 200.000 oder noch mehr Tonnen Öl! Die Maringo war so ein verrosteter Seelenverkäufer, und der Reeder Bouto hat es gewußt! Sie werden jetzt fragen: Warum lassen die Reeder solche Rostkähne überhaupt laufen? Warum chartern Öl-Gesellschaften diese Saurier der Meere?«
Heßbach holte tief Luft. Was er jetzt sagen würde, war ein ungeheuer heißes Eisen.
»Es gibt auf diese Frage keine bessere Antwort als den Satz aus einem Untersuchungsbericht eines großen deutschen Öl-Konzerns. Darin steht zu lesen: ›Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß Qualität und Sicherheit sich finanziell noch nicht auszahlen.‹ Im Klartext heißt das: Je billiger der Transport, desto höher der Gewinn. Daher das blühende Geschäft mit Billigflaggen.«
Und nun breitete Heßbach seine Erkenntnisse über das Geschäftsgebaren der Billigflaggen und der ihnen zuarbeitenden Heuergesellschaften aus. »Nur ein kleines Beispiel: Ein unausgebildeter Hilfsarbeiter von den Philippinen bekommt bei einem Billigflaggen-Reeder monatlich DM 640! Die deutsche Tarifheuer für einen ausgebildeten Matrosen beträgt dagegen DM 5.040 brutto! Der Reeder aus Liberia oder Panama spart also pro Mann DM 4.400! Hinzu kommen die niedrigen Steuern und die Einsparung bei Wartung und Reparatur der Schiffe. Ein Innenanstrich genügt, die Klassifikationsgesellschaft, die natürlich keinen Kunden verlieren will, stellt das Zertifikat aus und nimmt die Rostkähne ins Register.«
Heßbach holte neue Unterlagen aus den Papieren, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Alle Fernsehkameras waren auf ihn gerichtet, die Fotografen knieten vor dem Podium, die Tonbänder der Reporter summten leise. Die Sensation war kaum zu überbieten: Hier sprach ein Mann, ein deutscher Kapitän, die ungeschminkte Wahrheit und machte sich damit in aller Welt die Öl-Multis, die Reeder, die Industriekartelle und die Politiker zu Feinden. Dies war ein Rundumschlag, der jeden traf.
»Ich bin gespannt«, sagte einer der Reporter leise zu seinem Nebenmann, »wie lange Heßbach das überlebt.«
»Sie glauben …?«
»Aber sicher! Da gibt es Syndikate und Einzelpersonen, die sich solche Enthüllungen nicht werden gefallen lassen. Das alles ist für Heßbach eine Nummer zu groß! David gegen Goliath … nur wird die Steinschleuder David diesmal nicht retten. Aber mehr als Steine kann auch Heßbach nicht schleudern.«
»Doch damit nicht genug«, fuhr Heßbach fort, »wenn ein Tanker nach 20 Jahren vorgeführt werden soll, vergessen die Reeder solche Termine grundsätzlich. Das Schiff, das schrottreif ist, wird nicht mehr zu Besichtigung gestellt, sondern wird in Fahrt gehalten, bis der voraussehbare Totalverlust eintritt. Es läuft auf, bricht auseinander oder versinkt einfach. Der Reeder aber hält die Hand auf, und die Kaskoversicherung zahlt. Das Geschäft ist perfekt, der Gewinn eingefahren. Und da Schiffe im Ballastzustand nicht so leicht untergehen, versinken diese Uraltschiffe auch fast immer mit voller Ladung. Die Ölpest ist da, der Ölteppich, das Sterben der Küsten und Meere, der Untergang des ökologischen Gleichgewichts, die Vernichtung der Lebewesen auf See und am Ufer. Und wer ist schuldig? Keiner! Es wird alles auf die ›höhere Gewalt‹ geschoben. Aber Gott zahlt keine Entschädigungen …«
Heßbach machte eine Pause und griff nach dem Wasserglas auf dem Podium. Gemurmel erfüllte das Zelt.
In der ersten Reihe saßen Luise Bertram und ihre Eltern. Der alte Kapitän Bertram nagte an seiner kalten Pfeife – Rauchen war im Zelt streng verboten – und schüttelte mehrmals den Kopf.
»Was er da vorträgt, davon hatte ich keine Ahnung«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Das hat er mir wohlweislich verschwiegen. Das ist ein Affront gegen alle Reeder,
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