Öl-Connection
Sie das Patent für Große Fahrt?« hatte Jeanmaire gefragt.
Svensson glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Was für eine Frage. Ich fahre seit zwanzig Jahren, das wissen Sie doch!«
»Und Andersen?«
»Hat auch das Große Patent.«
»Na also!«
»Was heißt: Na also?!«
»Bei der immer größer werdenden Konkurrenz, vor allem durch die asiatischen Staaten, bei dem Druck auf die Frachtraten, bei den gestiegenen Versicherungssummen, bei den möglichen Ballastfahrten, bei den Hafenliege- und den Ausfallzeiten durch Reparaturen und Maschinenschäden ist die Reederei gezwungen, die Unkosten zu minimieren, denn wo kein Erlös zu erwarten ist, greift man in leere Taschen. Die erste Einsparung ist bei der Mannschaft: Billige Arbeitskräfte von den exotischen Märkten, Reduzierung der Belegschaft, Optimierung der Fahrzeiten – das sind nur die ersten Maßnahmen. Sehen Sie ein, daß ich Ihnen keinen zweiten Steuermann und keinen Zweiten Offizier geben kann?!«
»Nein, Sir.« Svensson hatte bei diesem Nein auf den Tisch geschlagen. »Wer soll denn den Rudergänger ablösen?«
»Sie und Andersen, Käpt'n.«
»Das ist nicht meine Aufgabe, Sir!«
»Es bricht Ihnen bestimmt kein Zacken aus der Krone, wenn Sie am Ruder stehen, Svensson. Und Andersen auch nicht. Sie fahren keinen Luxusliner, sondern einen Tanker, und wir alle müssen an einem Strick ziehen, sonst bleibt unterm Strich nichts übrig. Gottseidank geht die Konjunktur wieder bergauf, und ich kann die Millionenverluste der achtziger Jahre langsam ausbuchen. Verstehen Sie das denn nicht? Svensson, wie lange sind Sie jetzt bei der TAS?«
»Neun Jahre, Sir.« Svenssons Atem wurde nervöser. Die Erregung drückte auf seine Brust. »Ich bin für die Unico II verantwortlich.«
»Nein. Die Reederei.«
»Aber wenn etwas passiert, beißen die Hunde zuerst mich!«
»Es darf eben nichts passieren, Käpt'n. Deshalb habe ich die Unico II gerade Ihnen anvertraut. Sie sind mein bester Kapitän, Svensson. Nun blasen Sie sich bloß nicht auf vor Stolz! Also dann, gute Fahrt.«
»Sir!« rief Svensson, aber Jeanmaire hatte aufgelegt. Für ihn war die Diskussion beendet, weil sie nach seiner Ansicht sinnlos war.
Pierre Jeanmaire war trotz seines französischen Namens kein Franzose. Nach seinem französischen Paß war er zwar in der Kleinstadt Cérilly im Bourbonnais geboren, einem verträumten Ort zwischen Moulins und Châteauroux. Nur hatte Jeanmaire Cérilly noch nie gesehen. Der Paß hatte ihn 20.000 Dollar gekostet. Das Foto gehörte nicht zu dem Namen, aber wer konnte das wissen? Woher er wirklich stammte, war ein Geheimnis, nach dem noch niemand gefragt hatte, auch nicht, woher er das Geld hatte, um sich 1953 in Panama niederzulassen, zu einer Zeit, da massenweise Handelsschiffe ausgeflaggt, verkauft, verschrottet wurden, der Tankermarkt einen bisher noch nie gekannten Tiefstand erreicht hatte und man einen Tanker mittlerer Größe, so um die 60.000 Tonnen herum, für einen Spottpreis kaufen konnte.
Pierre Jeanmaire, damals siebenundzwanzig, hatte keine Hemmungen, einen Tanker zu kaufen und bezahlte ihn bar. Man hielt ihn für verrückt und wartete auf den Konkurs der neugegründeten Reederei TAS. Aber Jeanmaire spürte ein Kribbeln, das ihm sagte, daß sich die Zeiten bald ändern würden. Er fuhr mit seinem Tanker zunächst normale Fracht, ließ ihn umrüsten und verlegte sich auf den sogenannten Nahverkehr, mit dem kaum etwas zu verdienen war. Er transportierte alles: von Kies bis Zement, von Eisenerz bis zu Maschinenteilen, von Chemiefässern bis zu Zuckersäcken. Es kümmerte ihn nicht, daß andere Reeder ihn auslachten, denn sein minimaler Verdienst reichte aus, ihn zu ernähren. Er reichte sogar, um noch vier Tanker zu kaufen, die er im Hafen von Panama stillegte.
Und sein abwartendes Taktieren lohnte sich: Am 26. Juli 1956 wurde der Suezkanal geschlossen. Alles mußte um Afrika herum, ein endloser Umweg, zeitaufwendig und teuer, der die Frachtraten in die Höhe trieb. Und Europa mußte mit Öl versorgt werden … die Suezkrise konnte zu einer Gefahr für die gesamte europäische Wirtschaft werden.
Als nun alles nach Tankern und Tonnage schrie, war Jeanmaire mit seinen vier Schiffen sofort zur Stelle. Er schloß langjährige Verträge mit den Ölgesellschaften, bestellte gleichzeitig drei neue Tanker und war plötzlich der Sieger von Panama. 1956 wurde zu einem der erfolgreichsten Jahre der Tankerschiffahrt. Die Reederei TAS war in aller Munde …
Weitere Kostenlose Bücher