Öl-Connection
Jeanmaire konnte Frachtraten verlangen, die man sich früher nicht einmal erträumt hätte. Bis zum Jahr 1959 besaß er neunzehn Schiffe, davon sieben Tanker.
Aber das Seetransportgeschäft ist schwer und abhängig von politischen Ereignissen und Tendenzen.
Im April 1957 wurde der Suezkanal wieder geöffnet. Der Umweg war nicht mehr nötig, die Ölförderländer, an der Spitze der Mittlere Osten, der fast die Hälfte aller Erdöl-Exporte lieferte, hatten wieder Freie Fahrt. Allein nach Europa flossen 340 Millionen Tonnen Öl, davon 90 Millionen Tonnen aus dem Iran und 88 Millionen aus Saudi-Arabien.
In Panama und Liberia kam Panikstimmung auf. Zwar verschiffte man von Westafrika beachtliche 180 Millionen Tonnen Erdöl vor allem nach den USA, aber Jeanmaires Flotte, überwiegend im Persischen Golf stationiert und auf die Umrundung von Afrika eingestellt, bekam die Macht der Ölgesellschaften zu spüren. Die Frachtraten wurden nach dem Suezkanal-Weg berechnet, die Transportzeiten schrumpften zusammen, die Ölländer diktierten die Preise … Jeanmaire und viele andere Reeder begannen, an ihren Millionenverlusten zu ersticken.
Im Mai 1958 trafen sich in Miami zweiundzwanzig marktbestimmende Reeder, darunter der griechische Reeder Evangelitos Maganopolos, der Deutsche Dr. Roland Wollfers, der Japaner Takahito Simbasaki, der Liberianer Jesus Malinga Bouto und Pierre Jeanmaire, der den Vorsitz der geheimen Konferenz übernommen hatte.
Was im einzelnen in dem viertägigen Zusammentreffen besprochen und beschlossen wurde, drang nie an die Öffentlichkeit, sondern ruhte in Panzerschränken und Banksafes. Nur soviel sickerte aus dem abhörsicheren Konferenzraum heraus: Die zweiundzwanzig Reeder hatten einen lockeren Verbund beschlossen. Jeder arbeitete für sich, aber bei allen Problemen mit Politik, Staaten und Gesetzen war man eine Einheit. Das Ziel: die Meere zu beherrschen, ohne sich beherrschen zu lassen. Was nationale Gremien, internationale Abkommen und neue Gesetze bestimmen würden, sollte völlig ignoriert werden. Was mit den Tankern geschah, war allein Sache der Reeder.
Die Öl-Connection war geboren.
Eine Interessengemeinschaft, mächtiger als die Mafia, kapitalkräftiger als jede Superindustrie und für die Allgemeinheit weder zu hören noch zu sehen.
Der Erfolg zeigte sich schnell. Bis 1967 half man sich untereinander wie Brüder, die eine Familie ernähren mußten. Die Jahre 1958 bis 1962, in denen selbst modernste Schiffe in den Häfen ohne Auftrag herumdümpelten, wurden mit den normalen Frachtschiffen überbrückt, wobei die Ausweitung des Containerverkehrs sich als firmenerhaltend zeigte, bis 1963 eine unerwartete Entspannung eintrat, die es in den nächsten Jahren erlaubte, immerhin einige stillgelegte Tanker wieder flott zu machen. Und dann half die Politik wieder nach: Im Mai 1967 wurde der Suezkanal erneut geschlossen. Und die Welt schrie nach Öl. 1967 boomte das Tankergeschäft wie nie zuvor.
Der Suezkanal blieb zu, aber der zweite politische Schlag ließ noch mehr Geld in die Reederkassen fließen: Im Oktober 1973 schnellten die Ölpreise in die Höhe. Die zweiundzwanzig Reeder von Miami waren durch ihre beispiellose Lobby, durch Agenten und gesprächige Politiker längst darauf vorbereitet. Wer Erdöl haben wollte, mußte jetzt zahlen bis an die Grenze des Möglichen. Der Weg durch den Suezkanal schien noch über Jahre hinweg gesperrt zu sein, die Route rund um Afrika war wieder aktuell, das Erdöl aus Libyen und Südamerika reichte bei weitem nicht aus, ohne Lieferungen aus dem Mittleren Osten würde es zu einer Weltwirtschaftskrise kommen. Als die zweiundzwanzig Reeder sich Ende 1973 wieder trafen, diesmal auf Jamaika, konnte Jeanmaire mit Stolz sagen:
»Freunde, wir haben es geschafft! Wir fahren soviel Heu ein, daß unsere Kühe auch bei Trockenzeiten immer noch zu fressen haben.«
Als der Suezkanal im Juni 1975 – nach acht Jahren – wieder geöffnet wurde, war die Öl-Connection unangreifbar geworden. Sie überstand in den nächsten Jahren alle kleinen und größeren politischen Krisen, die Revolution im Iran, den Krieg zwischen Iran und Irak, die Invasion des Irak in Kuweit, den Golfkrieg … und als das Jahr 1990 zu Ende ging, schrieb Jeanmaire in sein penibel geführtes Tagebuch den stolzen Satz:
»1990: das beste Jahr im Tankergeschäft seit siebzehn Jahren!«
In jenem Jahr wurde Pierre Jeanmaire vierundsechzig Jahre.
Jetzt saß er in seinem gläsernen Palast in Panama und
Weitere Kostenlose Bücher