Öl-Connection
Bundesverkehrsministerium und das Bundesumweltministerium wurden benachrichtigt. Auch dort löste die Meldung verhaltenes Entsetzen aus, man bildete sofort gemeinsam eine Sonderkommission, die mit Hamburg parallel geschaltet wurde, und beide Kommissionen kamen zu der Erkenntnis, daß man bei Windstärke neun und dickem Nebel im Augenblick nichts unternehmen konnte. Ein Auslaufen von Hilfsschiffen war unmöglich, ebensowenig wie ein Einsatz per Luft, die Reeder der Bergungsschiffe in Hamburg und Bremerhaven lehnten es ab, bei diesem Sturm ihre Spezialschiffe auslaufen zu lassen.
Auf den Monitoren nahm der Punkt Gestalt an. »Es ist ein Tanker!« sagte Hansen, der Sprecher der Sonderkommission, zu den Herren der Einsatzleitung. »Es besteht kein Zweifel mehr. Er hat einen Totalschaden! Zum Teufel, er muß ja von irgendwoher gekommen sein! Er muß doch, bevor der Funkverkehr abbrach, mit den Radiostationen in Verbindung gewesen sein! Er ist doch kein ›Fliegender Holländer‹. Vor allem die Reederei muß doch Alarm schlagen, wenn der Kontakt zu ihrem Schiff abreißt. Warum liegen von dort keine Anfragen vor? Verdammt, jemand muß doch wissen, wie der Tanker heißt, woher er kommt, wohin er will, was er gebunkert hat. Ein Schiff ist doch nie allein auf See.«
Eine fieberhafte Tätigkeit begann. »Es ist mir völlig egal!« sagte Jensen, der Leiter der Sonderkommission und stand vor der großen Karte, die die Deutsche Bucht zeigte. »Wie der Tanker heißt, woher er kommt … das ist doch zweitrangig. Er ist da, er ist manövrierunfähig, er ist in Seenot, wir müssen ihm helfen. Was also ist zu tun?«
»Bei dieser Wetterlage … nichts.«
»Und wenn der Tanker randvoll mit Öl ist?«
»Dann stehen wir dumm da.«
»Das heißt: Wir sehen die Katastrophe auf uns zukommen und drehen Däumchen?« Der Einsatzleiter hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Soll ich das nach Bonn melden?!«
»Das ist doch eine Bankrotterklärung!« rief Jensen erregt. »Wir reden und reden von Umweltschutz. Ja, wir posaunen hinaus, daß wir auf alles vorbereitet sind, und tritt der Ernstfall wirklich ein, stehen wir ratlos da! Bonn …«
»Bonn! Bonn! Fragen Sie mal die Minister Töpfer und Krause, ob sie bei diesem Orkan auf See wollen!«
»Das ist nicht ihre Aufgabe!«
»In Ordnung, dann sollen sie weiter am Bleistift kauen und uns in Ruhe lassen.«
»Können Sie überhaupt erfassen, was es bedeutet, wenn ein vollbeladener Tanker in der Deutschen Bucht auseinanderbricht?« rief Jensen.
»Ich bin kein Schuljunge mehr«, schrie der Einsatzleiter zurück. »Wir alle wissen das!«
»Es ist der Tod der Friesischen Inseln! Sie werden unter Ölschlamm begraben! Das gesamte, so hochempfindliche Wattenmeer wird vom Öl erstickt werden! Die deutsche Küste wird auf Jahre hinaus ein toter, stinkender Landstrich sein. Ob sie sich überhaupt wieder erholt, ist zweifelhaft. Es gibt keine Muschelbänke mehr, keine Krabben, keine Fische, keine Robben … nichts gibt es mehr!«
In Bonn reagierte man schnell auf die Alarmmeldung. Klaus Hintze, Ministerialrat im Umweltministerium, flog nach Hamburg. Er hatte ein Paket empfohlener Sofortmaßnahmen bei sich, aber eben nur Empfehlungen. Im Grunde war er nur Beobachter, denn die Katastrophenfachleute in Hamburg hatten einen besseren Überblick als Bonn.
Und die Unico II trieb unaufhaltsam auf die Deutsche Bucht zu, mit 110.000 Tonnen Rohöl in den Tanks.
Um Ministerialrat Hintze so gut wie möglich zu orientieren, hatte man in der Einsatzleitung neue Karten und Tabellen an die Wand geheftet. Der Diplom-Biologe Ewald Bergfried, Mitglied des Projektes Nordseeschutz im World Wide Fund mit Sitz in Bremen, hielt einen kurzen Vortrag. Auf der Karte der Deutschen Bucht erklärte er zunächst nüchtern die allgemeine Lage.
»In der Deutschen Bucht finden jährlich 150.000 Schiffsbewegungen statt. Sie ist damit eines der meistbefahrenen Gebiete der Weltmeere.«
Ministerialrat Hintze nickte beeindruckt. Dr. Bergfried sprach weiter und bewegte den Zeigestock über die große Karte.
»Im Gesamtgebiet der Deutschen Bucht ist ein lückenloser Radargürtel sowie ein Notwendeplatz installiert. Es gibt eine besondere Route für Supertanker, die auch für alle Schiffe ab 60.000 Bruttoregistertonnen vorgeschrieben ist, und zwar zwingend. Gerade im Gebiet der Ostfriesischen Inseln gibt es zwei Lotsenversetzpositionen, eine Lotsenübernahmeposition und eine Meldeposition für jedes Schiff. Die Überwachung der
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