Öl-Connection
wir tun unser Möglichstes.«
Auf der Brücke stand jetzt Dumarche am Kommandostand, zwei Sehposten mit starken Ferngläsern hatten die beiden Brückennocks besetzt. Ununterbrochen wurde der Horizont beobachtet, und es war ein Glück, daß der Atlantik in diesen Tagen völlig ruhig war.
Um die Crew weiter zu beruhigen und sich ganz normal zu stellen, gab Pieter van Geldern wieder ein Konzert auf seinem Keyboard. Er begann mit Volksliedern und internationalen Schlagern, bis McCracker ihm von hinten zuflüsterte:
»Chief, können Sie auch Seemannslieder?«
»Natürlich. Die holländischen und deutschen …«
»Auch Lieder aus Wales, aus Schottland und Irland?«
Van Geldern blickte hoch in das riesige, von roten Haaren umwucherte Gesicht. »Auch die«, bestätigte er. »Aber die werden unsere Malayen und Philippinos nicht sehr interessieren.«
»Versuchen wir es, Chief.«
»Auf Ihre Verantwortung, James. Aber wenn sie anfangen zu pfeifen, höre ich sofort auf.«
»Sie werden nicht wagen, zu pfeifen.« McCracker richtete sich wieder auf. »Es sind die Lieder meiner Heimat und meiner Kindheit.«
Und dann geschah das, was allen, die es miterlebt hatten, unvergeßlich blieb. Es war eine halbe Stunde, die selbst Sato Franco nicht kalt ließ.
Van Geldern begann mit einer alten, traurigen irischen Weise, in der das unendliche Grün der Insel und die unendliche Weite des Meeres beschworen wurden. Aber das war es nicht … plötzlich war da ein tiefer Baß, der den Raum dröhnend erfüllte, eine kräftige und auch schöne Stimme, in der Sehnsucht und Heimweh mitklang. Sie beschwor Land und Meer, Himmel und Sonne, blühende Wiesen und weidende Schafherden sowie grasbewachsene hingeduckte Bauernhäuser mit klobigen Schornsteinen.
McCracker hatte die Augen geschlossen und sang seine Inbrunst und seinen Glauben aus sich heraus. Und jeder, auch der Malaye aus einem unbekannten Buschdorf, verstand ihn. Sie starrten den singenden roten Riesen an, dessen harte Faust und unflätiges Brüllen sie so gut kannten, und lauschten bewegungslos dieser fremden Stimme. Sato Franco senkte sogar den Kopf und schien nach innen zu blicken, wo Menschlichkeit nur wenig Platz gefunden hatte und nur ein Gefühl geblieben war, die Liebe zur Heimat.
Übergangslos, um diese Stimmung nicht zu zerstören, spielte van Geldern das nächste Lied, eine fröhliche schottische Melodie, ein Reigen für junge Leute. Er gab dem Keyboard nun den Klang von Pfeifen, so daß man fast glaubte, einen Dudelsack zu hören.
Ein wildes Stampfen, das die Dielen erzittern ließ, schreckte van Geldern auf, aber er drehte sich nicht um. Hinter ihm jubelte McCrackers Stimme, und der Riese tanzte dazu, hob die Arme, die Hände pendelten im Takt, und die schweren Beine in den verdreckten Stiefeln stampften und schabten über den Boden. Bald stampfte und schabte auch die Crew und begriff, daß es ein Tanz in ein besseres Morgen war.
Angelockt von der Baßstimme, war auch Heßbach leise eingetreten. Wie alle war er überwältigt von diesem veränderten roten Riesen. Eine halbe Stunde sang McCracker, dann brach er plötzlich ab, legte dankbar van Geldern die Hand auf die Schulter, blickte über die stumme Mannschaft, ging zur Tür und sagte dort, wie gewohnt:
»Leckt mich doch am Arsch!«
Und damit verließ er den Raum. Heßbach folgte ihm. Zu klatschen wagte keiner.
»Das kommt nicht wieder …«, raunte van Geldern in die Stille hinein. »Wir haben etwas Unbegreifliches erlebt. Das hört ihr nie wieder …«
»Bleib stehen!« rief Heßbach. »James, bleib stehen!«
McCracker lief mit weit ausgreifenden Schritten seiner Kabine zu. Ohne sich umzudrehen, schrie er zurück: »Lassen Sie mich in Ruhe, Käpt'n!«
»Bleib stehen!«
Das war ein Befehl. McCracker zögerte, er hatte noch nie seinem Kapitän einen Befehl verweigert. Er wartete, bis Heßbach dicht hinter ihm stand, drehte sich dann langsam um. Sein Blick glitt über Heßbach hinweg ins Leere.
»Was kann ich tun, Käpt'n?« fragte er.
»Du hast eine wunderbare Stimme. Woher hast du die?«
»Von Gott, Sir.«
»Du glaubst doch nicht an Gott?«
»Nicht mehr … wir haben uns getrennt.«
»Das ist eine fertig ausgebildete Stimme. Mach mir nichts vor, James! Ich versteh ein wenig davon. Ich bin ein Opernnarr, habe Freunde, die Opernsänger sind, und ich weiß, was Atemtechnik ist, Stimmführung, Zwerchfellatmung. Du hast in der Oper gesungen. Mit dieser Stimme hast du den Boris gesungen, den Wotan oder den
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