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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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er las diese Zeitungsberichte seit drei, vier Monaten und glaubte jedes Wort. Er wollte wissen, ob Paul etwa leugne, dass in Russland reiche Leute umgebracht worden seien. Paul erwiderte, das bezweifle er nicht, er habe ja die Französische Revolution studiert. Doch müsse man bedenken, wie das russische Volk von der herrschenden Klasse behandelt worden und an welche Art von Regierung es gewöhnt sei, man müsse ihre Revolution nach ihren Maßstäben beurteilen, nicht nach den unseren. Lächelnd fügte Paul hinzu, ein amerikanischer Unternehmer, der versucht habe, seine Arbeiter anständig zu behandeln, liege falsch, wenn er sich mit jenen Herren in Russland gleichsetze, die ihre Arbeiter mit der Knute verprügelt und sie den Kosaken übergeben hätten, sobald sie sich zu wehren versuchten.
    Das beruhigte Dad ein wenig, aber er sagte, ihm käm’s vor, wie wenn diese Bolschewiken lauter deutsche Agenten wären. Er erzählte von dem Zug, in dem Lenin – Dad sprach ihn «Lieh-nein» aus – quer durch Deutschland befördert worden war. Paul fragte, ob er die Nachrichten über die Friedensverhandlungen verfolgt habe; die Deutschen hätten vor den Russen offenbar genauso viel Angst wie wir. Die Bolschewiken bekämpften die herrschenden Klassen auf beiden Seiten, und am Ende würde der Friede für die Deutschen vielleicht noch gefährlicher werden als der Krieg. Die revolutionäre Propaganda könne sich im Heer bis zur Westfront ausbreiten.
    Sinnlos zu erwarten, das Dad etwas so Kompliziertes einsah. Er meinte, wenn die Russen wirklich der Sache des Friedens und der Gerechtigkeit hätten dienen wollen, hätten sie zu den Alliierten gehalten, bis der Kaiser außer Gefecht gesetzt gewesen wäre.
    Da fragte Paul, ob Dad die Geheimabkommen der Alliierten gelesen habe, und Dad musste gestehen, dass er noch nicht einmal davon gehört hatte. Paul erklärte, die Sowjets hätten die Alliierten aufgefordert, ihre Kriegsziele darzulegen, und als ihre Bitte unbeachtet geblieben sei, hätten sie vor aller Welt offengelegt, welche Geheimabkommen die Alliierten mit dem Zaren geschlossen hatten, zwecks Aufteilung der Territorien, die sie den Deutschen, Österreichern und Türken wegzunehmen gedachten. Die amerikanischen Zeitungen aber hätten den Wortlaut dieser Abmachungen, die wichtigste Nachricht des Tages, unterdrückt. Wenn wir mit verbundenen Augen in diesen Krieg zögen, um Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan in ihren imperialistischen Zielen zu unterstützen, dann lasse sich unser Volk täuschen, und eines Tages werde es ein böses Erwachen geben.
    Dads Antwort war einfach. Paul könne ganz ruhig bleiben, diese Geheimabkommen würden sich als bolschewistische Fälschungen herausstellen. Hatte unsere Regierung nicht schon zahlreiche Dokumente aus Russland veröffentlicht, die bewiesen, dass die bolschewistischen Anführer deutsche Agenten waren? Das seien die echten Dokumente, das werde Paul eines Tages auch feststellen und sich dann schämen, dass er an den Alliierten gezweifelt habe. Wie könne er nur glauben, Präsident Wilson werde zulassen, dass wir an der Nase herumgeführt würden?
    Bunny saß da und nahm jedes Wort dieses Gesprächs in sich auf. Das alles war verwirrend und schwer einzuschätzen, aber ihm schien, das Dad recht hatte; was konnte ein guter Amerikaner in solchen Kriegszeiten anderes tun, als seiner Regierung vertrauen? Bunny war ein wenig entsetzt, dass ein Mann in der Uniform der Armee ruhig dasitzen und Zweifel an seinen Vorgesetzten äußern konnte; er hielt es deshalb für seine Pflicht, Paul beiseitezunehmen und einiges von dem an ihn weiterzugeben, was die Vierminutenmänner in der Schule gesagt hatten, um vielleicht etwas mehr glühenden Patriotismus in ihm zu entfachen. Aber Paul lachte nur, klopfte Bunny auf die Schulter und sagte, Propaganda hätten sie hier im Ausbildungslager jede Menge.
    2
    Eines Abends zogen sie alle los, um in einem riesigen Zelt, das einen Zirkus mit drei Manegen gefasst hätte, Eli zu lauschen. Auf den umliegenden Feldern parkten Tausende von Autos, die Mittelgänge waren mit Sägemehl bestreut, und auf Hunderten von Holzbänken saßen Soldaten und Farmer mit ihren Frauen und Kindern. Auf einem Podium stand, nicht unähnlich einem persischen Magier, der Evangelist in einer weiße Robe mit einem goldenen Stern an der Brust, und die Trompeten und Basstuben der Blaskapelle funkelten, dass man sich wie geblendet fühlte. Als die mächtigen Instrumente einen Choral

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